Das Wetter meinte es wieder gut mit der Reisegesellschaft der Parlamentarischen Vereinigung Niedersachsen e.V. (PVN), die am 19./20. Mai 2014 auf ihrer nun schon traditionellen Zwei-Tage-Reise dieses Mal das Kloster Wöltingerode bei Vienenburg am Harz und die mittelalterlichen Kaiserstädte Goslar, Wernigerode und Quedlinburg am Nordharz besuchte. Die Sonne strahlte vom blauen Himmel und ungewöhnliche Hochsommertemperaturen mitten im Wonnemonat Mai ließen die Stimmung und den Durst steigen.
Weil das Reiseziel am Nordharz für viele Teilnehmer praktisch vor der Haustür lag, reisten viele individuell mit eigenem Fahrzeug an, während sich die anderen wieder mit dem Reisedienst Rinder aus Barsinghausen im Omnibus nach Wöltingerode kutschieren ließen. Schon am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) in Hannover und dann besonders am Ziel gab es das große Hallo bei der Begrüßung und beim Wiedersehen. Denn man kannte sich in dieser Runde, und der "harte Kern" war natürlich wieder dabei. Erfreulicherweise gab es in der rund 50 Personen starken Reisegruppe aber auch eine ganze Reihe neuer Gesichter. Sie alle konnte der Präsident der Parlamentarischen Vereinigung Niedersachsen e.V., Ulrich Biel, und der Gastgeber, der Präsident der Klosterkammer Hannover, Hans-Christian Biallas, mittags im Klosterkrug in Wöltingerode herzlich begrüßen.
Der Klosterkammer-Präsident, von 1994 bis 2011 selbst Abgeordneter des Niedersächsischen Landtags und danach Herrscher über 16 Klöster und ein Dutzend Stifte mit Äbtissinnen und Nonnen sowie rund 40.000 Hektar Grundbesitz mit Landwirtschafts- und Forstflächen, ließ es sich nicht nehmen, seine früheren Kolleginnen und Kollegen samt Anhang zum opulenten Spargel-Essen im Klosterkrug einzuladen und damit einen gelungen Auftakt der Reise zu geben.
Zuerst kam die Politik
Anschließend ging es gemeinsam im Bus nach Goslar zum Empfang durch den Oberbürgermeister der Stadt, Dr. Oliver Junk, Kaiserpfalz, dem unübersehbaren historischen Wahrzeichen der alten Kaiserstadt. Hier gab er den ehemaligen niedersächsischen Landes- und Kommunalpolitiker nach der freundlichen Begrüßung einen tiefen Einblick in die teilweise dramatische Situation besonders vieler Harzer Gemeinden. Immer mehr Menschen verließen die Städte und Dörfer, immer weniger Investitionen brächten den Tourismus, oft die Haupteinnahmequelle der Bevölkerung, zum Erliegen. Ein Ausweg sei möglicherweise die Fusionierung von Kommunen, sagte Dr. Junk. So habe es am 1. Januar 2014 durch den Zusammenschluss Goslars mit dem benachbarten Vienenburg die größte kommunale Fusion seit den 70-er Jahren in Niedersachsen gegeben. Zu den 40.000 Einwohnern Goslars kamen 11.000 aus Vienenburg hinzu.
Mit einem schelmischen Seitenblick erzählte der Goslarer Oberbürgermeister die Anekdote von dem von den Lions ins Leben gerufenen Veranstaltungsring der "Klostergespräche im Großen Heiligen Kreuz" im Kloster Wöltingerode. Als einmal der Goslarer Sigmar Gabriel, einst Niedersachsens Ministerpräsident und heute Bundesvorsitzender der SPD und Vizekanzler, den Chefredakteur der Bild-Zeitung, Kai Dieckmann, unrühmlich bekannt aus der jüngsten "Affäre Wulff" als Empfänger eines empörten Anrufs des damaligen Bundespräsidenten auf der Mail-Box, eingeladen hatte, hat sich der Neu-Goslarer Dr. Junk das Kloster Wöltingerode genauer angeschaut und erfreut festgestellt, dass es so etwas Originelles in Goslar gibt - bis ihm deutlich gemacht wurde, Wöltingerode gehöre zu Vienenburg. "Das war der Anfang vom Plan: Wöltingerode muss zu Goslar kommen", meinte der neue Oberbürgermeister.
Zur Zeit sei er, wie er weiter sagte, parteilos. Nachdem er, in Hessen geboren und in Bayreuth studiert und promoviert, als Jurastudent die Kommunalpolitik der Frankenstadt "aufgemischt" und in die CSU eingetreten war, verschlug es ihn 2011 nach Goslar. Nach der Abwahl des Goslarer Oberbürgermeisters Henning Binnewies (SPD) im April 2011 hatte ihn die CDU in Goslar als Kandidaten für die vakante Stelle vorgeschlagen. Bei der Kommunalwahl am 11. September 2011 gewann Dr. Junk völlig überraschend mit 45,06 Prozent der Stimmen gegen den FDP-Bewerber als Gemeinschaftskandidaten von SPD,FDP, Grünen und einer Wählergemeinschaft und wurde als CSU-Mann in der Stadt des SPD-Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel für acht Jahre zum neuen Goslarer Oberbürgermeister gewählt. Nach der von ihm maßgeblich vorangebrachten Fusion von Goslar und Vienenburg war eine Neuwahl des Oberbürgermeisters von Goslar nötig geworden. Da die etablierten Parteien auf einen eigenen Kandidaten verzichteten, gewann Dr. Junk die Wahl am 22. September 2013 deutlich mit 93,7 %. Der "Exoten-Status" habe ihm übrigens nicht geschadet, sondern zu einem großen medialen Interesse und einem besonderen Spannungsverhältnis zum obersten SPD-Chef geführt, sagte er jetzt vor den niedersächsischen Parlamentariern. Aber nun sei es auch genug damit. Er hat inzwischen einen Aufnahmeantrag für die CDU gestellt und David McAllister, dem Vorsitzenden der CDU in Niedersachsen, auf dem Braunschweiger Landesparteitag in die Hand gedrückt.
Abschließend erklärte der Goslarer Oberbürgermeister, Kommunalfusionen seien allerdings nicht immer das Allheilmittel. Wenn aus zwei Verwaltungen eine wird, wenn aus zwei Haushalten einer wird, und wenn von 66 Ratsherren 25 "ins Gras beißen müssen", sei das sicher nicht erfreulich. Goslar und Vienenburg hätten sich gut zusammengefunden. Das könne aber im Ergebnis dazu führen, dass beispielsweise der Bürgermeister von Braunlage mit seinen 6.000 Einwohnern keinen Partner mehr finde und wisse, dass die Gemeinde möglicherweise an die Wand fahren würde. Hier sei die niedersächsische Landesregierung als Moderator gefragt. Auch wenn immer auf der untersten Ebene entschieden werde, könne man eine Fusion nicht dem Bürgermeister allein überlassen. "Wir müssen uns um dieses Thema kümmern", rief Dr. Junk den niedersächsischen Parlamentariern zu.
G O S L A R
Erst die Kaiserpfalz.......
Nach dem politischen Teil der Reise der Parlamentarischen Vereinigung Niedersachsen e.V. folgte der touristische Teil buchstäblich auf dem Fuße. Er begann ebenfalls in der Kaiserpfalz, einer der fünf mittelalterlichen Pfalzanlagen im heutigen Niedersachsen. Hier war für einige Jahrhundert im Hochmittelalter das Machtzentrum der Heiligen Römischen Reiches. Reiche Erzlagerstätten und besonders das große Vorkommen von Silber im benachbarten Rammels-berg bildeten jahrhundertelang die Grundlage des lukrativen Erzbergbaus und damit den großen Reichtum Goslars. Es wurde deshalb immer wieder Lieblingsort und Herrschersitz deutscher Kaiser, die keine eigentlich feste Residenz besaßen, sondern ständig durch die Lande zogen. Königshöfe und Pfalzen, Klöster und Bischofssitze dienten den Herrschern und ihrem Gefolge als Unterkunft. In den Pfalzen wurden Hof- und Reichstage abgehalten, mehrfach wechselten die Kaiser eine Pfalz als bevorzugten Aufenthaltsort.
Die Kaiserpfalz in Goslar ist um das Jahr 1000 erstmals erwähnt worden, als Heinrich II., der von 1002 bis 1024 regierte, hier einen Königshof errichten ließ. Er wurde im 11. Jahrhundert, als Goslar die erste Glanzzeit seiner Geschichte erlebte, zu einer für damalige Verhältnisse gewaltigen Pfalzanlage ausgebaut mit Kaiserhaus, Palastkapellen und Stiftskirchen. Auch der aus der heimischen Geschichte so bekannte Kaiser Friedrich I. Barbarossa oder der Welfenherzog Heinrich der Löwe residierten in der Kaiserpfalz Goslar oder wollten sie erobern. Bis in der Staufer-Zeit im 12. Jahrhundert erlebte sie ihre letzte große Blüte. In den nachfolgenden Jahrhunderten ging es auf und ab. Mal zerfiel die Kaiserpfalz, dann wurde sie wieder aufgebaut oder restauriert und erweitert. Als schließlich 1865 im Kaiserhaus wieder einmal die Mauern einstürzten und ein Abbruch bevorstand, entschloss sich eine staatliche Kommission für die Restaurierung des Gebäudes. Als Kaiser Wilhelm I. 1875 die Baustelle besuchte, gab er dem Projekt quasi die nationale Weihe. 1879 waren die Arbeiten abgeschlossen. Vor der Kaiserpfalz wurden die Reiterstandbilder der Kaiser Barbarossa und Wilhelm I. und zwei Nachbildungen des Braunschweiger Löwen zu beiden Seiten errichtet.
Gleichzeitig, als die Kaiserpfalz in das Blickfeld des Interesses mittelalterlicher Geschichte gerückt war, wurde auch im Inneren der Kaisersaal in 20-jähriger Arbeit von dem Historienmaler Prof. Hermann Wislicenus und seinen Gesellen mit großformatiger Wandmalerei ausgestaltet. Sie zeigen Episoden aus der tausendjährigen Geschichte des Reiches und gipfeln im riesigen Mittelbild, am einstigen Standort des Kaisersitzes, in der Darstellung der Reichsgründung von 1871 mit Kaiser Wilhelm I. und Fürst Bismarck sowie allen gekrönten Häuptern der damaligen Zeit; selbst Wilhelm II. als kleiner Bub fehlte nicht. Davon konnte sich die Reisegruppe der Parlamentarischen Vereinigung mit mehr oder weniger großem Staunen überzeugen.
Die Kaiserpfalz Goslar gehört heute zu den herausragenden touristischen Attraktionen der Stadt Goslar und der gesamten Harzregion. Seit 1992 gehört der Pfalzbezirk gemeinsam mit der Goslarer Altstadt sowie dem Goslarer Bergwerk Rammelsberg zum Weltkulturerbe der UNESCO.
........dann der Stadtrundgang
Ein interessanter Stadtrundgang mit Fremdenführer rundete das Bild dieses historischen Ortes ab. Weil Goslar im letzten Weltkrieg glücklicherweise von verheerenden Bombenangriffen alliierter Flieger verschont geblieben ist und nicht zerstört wurde, sind viele mittel-alterliche Bauten erhalten geblieben bzw. wiederhergestellt worden. Viele stammen aus den Jahrzehnten um das 15. Jahrhundert, als Bergbau und Hüttenwesen nach langer Stagnation wieder florierten und Goslar eine neue Blütezeit erlebte. Von dieser spätmittelalterlichen Glanzzeit künden vor allem das Rathaus, der Kaiserworth am Markt, die erhaltenen Stadtbefestigungen mit mächtigen Rundtürmen und Zwingeranlagen sowie die vielen Kirchen, Klöster und Kapellen, von denen Goslar seinerzeit fast 50 hatte.
Der historische Marktplatz, einer der schönsten in Deutschland, markiert den Mittelpunkt der Altstadt von Goslar. Das gotische Rathaus mit der dahinter aufragenden Turmfront der Marktkirche und mit seinem einzigartigen Innenraum ist ein besonderes Juwel. Der große Ratssaal, die Diele im Hauptbau, mit der mit vergoldeten Sternen verzierten Decke sowie die fantastischen Decken- und Wandgemälde des Huldigungssaales, der Ratsherrenstube, erweckten das besondere Interesse der Besucher. Desgleichen die im Norden des Marktbezirks gelegene Pfarrkirche St. Jacobi, eine der schönsten und bedeutendsten romanischen Kichen-bauten der Stadt, die Neuwerkskirche oder auch der Gebäudekomplex des ehemaligen Spitals Großes Heiliges Kreuz am Hohen Weg. Schließlich fand vor allem das Haus Kaiserworth am Marktplatz, ein Profanbau aus dem späten Mittelalter als ehemaliges Gildehaus, besonderes Interesse, nicht nur weil die Konsole mit der derben Figur des Dukatenmännchens, im Volksmund bezeichnender als "Dukatenkacker" genannt, geschmückt ist.
K L O S T E R W Ö L T I N G E R O D E
Nach diesen vielen interessanten Eindrücken der alten Kaiserstadt Goslar ging es im Bus zurück nach Wöltingerode und nahtlos weiter zur nächsten Attraktion: dem Kloster, eines der vielen Juwele der Klosterkammer Hannover. Ihr heutiger Präsident, der vormalige Pastor Hans-Christian Biallas, sagte dazu: "Wenig bekannt ist, was sich hinter der Bezeichnung "Klosterkammer Hannover" verbirgt. Eine Intendantur für klösterliche Angelegenheiten und klösterliches Leben ist die Klosterkammer nicht, auch keine kirchliche Einrichtung. Als eine der ältesten und traditionsreichsten Behörden Niedersachsens verwaltet sie vier historisch gewachsene öffentlich-rechtliche Stiftungen ähnlicher Herkunft und Zweckbindung. Die pia causa, der Wunsch, gottgefällig zu sein, ließ diese Stiftungen entstehen. Die bedeutendste Stiftung ist der Allgemeine Hannoversche Klosterfonds, der aus der Reformation in Calen-berg 1542 hervorgegangen ist. Das von der Klosterkammer verwaltete Stiftungsvermögen steht für die Stiftungszwecke "Kirche", "Schule", und "milde Zwecke aller Art". Damit leistet es einen Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Erhaltung des Stiftungsvermö-gens, die Stärkung der Erträge und deren stiftungsgemäße Verwendung ist Aufgabe der Klosterkammer."
Der Administrator des Klosters Wöltingerode, Günther Heuer, erklärte der Reisegesellschaft der Parlamentarischen Vereinigung Niedersachsen e.V. an Ort und Stelle im Klosterhof die Historie des Klosters und den staunenden Zuhörern vor allem die heutigen vielseitigen Aktivitäten der verschiedensten Kloster-Abteilungen. Dazu gehören das Klosterhotel mit Gastronomie im Klosterkrug sowie ein Tagungsbereich, die Brennerei, eine Likörmanufaktur und ein landwirtschaftlicher Betrieb, vor allem aber und seit neuestem - der ganze Stolz des Klosterkammerpräsidenten - die aus der Insolvenz übernommene und mit großem Aufwand und Investitionen wieder in Schuss gebrachte letzte im Oberharz verbliebene Brauerei in Altenau, die mit ihrem schmackhaften und weit über die Grenzen des Harzes hinaus beliebten Wölti-Bräu floriert und sich bereits bezahlt gemacht hat.
Das Kloster sei 1188 unter Kaiser Friedrich Barbarossa "aus Angst vor Heinrich dem Löwen" am nördlichsten Punkt des Harzes von den Zisterzienserinnen gegründet worden und habe mit einer Blütezeit im 13. Jahrhundert und der Verleihung des Brennrechts 1682 sowie dem Ausbau einer Brennerei in der Krypta unter der Urkirche bis Anfang des 19. Jahrhunderts existiert, sagte Administrator Heuer. 1818 wurde das Klostergut Wöltingerode unter dem da-maligen Prinzregenten und späteren König Georg IV. von Großbritannien, Irland und Hannover mit dem aus der Reformationszeit stammenden Klostervermögen und dem Säkularia-tionsgut aus der napoleonischen Zeit als Allgemeiner Hannoverscher Klosterfonds (AKH) vereinigt.
Jahrhundertelang sei das Kloster Wöltingerode Walfahrtsort für Gläubige gewesen, heute sei es wieder "Walfahrtsort, aber aus anderen Gründen". Und damit kam Administrator Heuer zu einem der lukrativsten und interessantesten Erwerbszweige der heutigen Klosterwirtschaft - der Brennerei, in der in guter traditioneller Handarbeit nach jahrhundertealten Geheimrezepten der Mönche neben Weizenkorn über ein Dutzend verschiedene Arten von Likören hergestellt und vertrieben werden. Nach eingehenden Informationen und gründlicher Besichtigung aller Einrichtungen in der neuen Brennerei, die vor einigen Jahren aus der Jahrhunderte alten traditionellen Stätte unter der Krypta hierher umgezogen ist, konnten die erfreuten Teilnehmer nach Herzenslust die wichtigsten Sorten "verkosten", den Wöltin-geroder Edelkorn ebenso wie die "Berliner Sophie", ein Getreideaquavit mit einem Hauch von Kümmel, die "Äbtissin Marie Kirsche", ein Edel-Kirsch-Likör - lieblich feiner Edelkirsche, "Pfaffenhütchen" aus Dunkelbier und Malz oder den "Kloster Kräuter Bitter", ein milder Halbbitter-Likör, und dergleichen mehr. Was am besten mundete, konnte anschließend flaschenweise eingekauft werden. Der Umsatz soll sich mehr als gelohnt haben - ein Zeichen für die Güte der Wöltingeroder Klosterprodukte.
Diese Liköre und Brände, vor allem aber auch das Original Altenauer Bier, flossen anschließend auch beim Grillabend im großen Biergarten des Klosterkruges und verliehen dem außerordentlich informativen, ereignisreichen Tag einen feucht-fröhlichen Abschluss. Einen Tipp gab Günther Heuer den niedersächsischen Gästen mit auf den Weg: Korn niemals in das Eisfach legen, bei etwa 15 Grad entfaltet sich das Bouquet am besten! Auch wenn die Nacht für viele Gäste nicht allzu lang war, reichte sie doch, um dem ländlich-rustikalen Klosterhotel mit Möbeln im Empire-Stil aus einem typischen Londoner Hotel eine sehr gute Note zu attestieren.
W E R N I G E R O D E
Nach dem politischen Auftakt in der Kreisstadt Goslar sowie der Besichtigung der Kaiserstadt Goslar und einem interessanten und vergnüglichen Aufenthalt im Klostergut Wöltingerode galt der zweite Tag der Reise der Parlamentarischen Vereinigung Niedersachsen e.V. den beiden weiteren Kaiserstädten Wernigerode und Quedlinburg am Rande des Nordharzes. Sie sind seit 25 Jahren nicht mehr durch den Eisernen Vorhang von Goslar getrennt, sondern durch eine neue autobahnmäßig vierspurig ausgebaute Bundesstraße 6 verbunden, auf der man schnell und problemlos von West nach Ost reisen kann. Die Wiedervereinigung und der "Soli" machten es möglich.
Die erste Station war Wernigerode. Die Stadtführer standen schon bereit und erklärten eingehend und voll Stolz die Geschichte ihrer Heimatstadt. Vor über tausend Jahren residierten hier Heinrich I., erster deutscher Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, später auch Frie-drich I. Barbarossa, der der Sage nach gegenüber auf der südlichen Seite des Harzes im Kyffhäuser ruht. Die Blütezeit Wernigerodes war das Mittelalter im 15. Jahrhundert. Davon zeugt vor allem das aus dieser Zeit stammende Rathaus, das dominanteste Gebäude am mit sehr viel Leben schon in den Morgenstunden erfüllten Marktplatz. Das ursprünglich als Spiel- und Gerichtshaus errichtete Gebäude sticht vor allem durch zwei schlanke besonders spitze Fachwerktürme vor dem breiten niederdeutschen Giebel und den geschnitzten Figuren hervor, mit denen die Geschoss- und Dachüberstände verziert sind. Überhaupt ist Wernigerode die Stadt der Fachwerkhäuser, von denen sich eins an das andere reiht und eins schöner als das andere ist, sowohl in der langen Hauptstraße als auch in vielen idyllischen Gassen. Auffallend sind das kleinste Haus der Stadt mit Zimmerbreite und das schiefe Haus, eine ehemalige Teichmühle im Fachwerkbau, die sich durch Unterspülung durch den unterirdischen Mühlgraben im Laufe der Jahrhunderte abgesenkt und stark nach vorn geneigt hat und heute schiefer als der berühmte Schiefe Turm von Pisa ist. Sehenswert ist auch das bekannteste Fachwerkhaus der Stadt von 1583, in dem sich heute das Cafe WIEN befindet.
Buchstäblich überragt wird Wernigerode von seinem Schloss, das große Ähnlichkeit mit der uns in Niedersachsen bekannten Marienburg der Welfen aufweist. Es wurde Ende des 17. Jahrhunderts von Fürst Otto von Stolberg-Wernigerode gebaut und war bis 1930 Wohnsitz der Grafen zu Stolberg-Wernigerode. Heute ist es ein Museum insbesondere für Kunst und Kunstgeschichte.
Nach zwei Stunden in strahlendem Sonnenschein und hochsommerlichen Temperaturen um die 25 Grad und vielfach ermüdendem Kopfsteinpflaster war die Stadtbesichtigung zu Ende. Doch den Stadtführern war die Zeit viel zu kurz. Sie hätten ihren Gästen gern noch so viel zu erzählen gehabt, vom Torbogen hier und Fensterkreuz dort, vom letzten Backstein im Fachwerk bis zu allen Herrschern dieser Stadt. Dass sie das Interesse, vor allem aber das Auffassungsvermögen ihrer Zuhörer strapazierten, die bei der Fülle der vielen Neuigkeiten innerhalb von zwei Stunden am Ende ohnehin das meiste schon wieder vergessen hatten, kam ihnen meistens nicht in den Sinn. Sie meinten es ja gut und wollten partout alles, was sie über ihre Stadt wussten und was sie für außerordentlich wichtig hielten, los werden und an die Frau und an den Mann bringen. Ja, so sind sie, unsere lieben Fremdenführer, überall.
Q U E D L I N B U R G
Die Reisegesellschaft, die sich vorsichtshalber in zwei Gruppen geteilt hatte, einmal in die flotten und wissbegierigen Marschierer und zum anderen in die "Fußkranken", traf sich im Bus wieder, fiel nach der Hitze in die Sitze, und ab gings, an Blankenburg mit dem enteigneten Welfenschloss vorbei, zur nächsten Kaiserstadt nach Quedlinburg. Die Besucher kamen gerade rechtzeitig zum Mittagessen im Brauhaus Lüdde an, wo im schattigen Garten die vorher bestellten Gerichte serviert und hinterher, nach alter DDR-Art, tischweise abgerechnet wurden.
Dann ging es ohne Rast und Ruh weiter zur nächsten Stadtbesichtigung. Auch die dritte Kaiserstadt empfing die niedersächsische Reisegesellschaft bei strahlendem Sonnenschein und hochsommerlichen Temperaturen mit über 25 Grad im Schatten. Voll Stolz bezeichnete der Stadtführer das im 10. Jahrhundert als Königspfalz gegründete Quedlinburg, in dem die ottonischen Herrscher das Osterfest zu feiern pflegten, als heimliche Hauptstadt der Herrscher des damaligen Heiligen Römischen Reiches. Er wies besonders darauf hin, dass diese Stadt jahrhundertelang praktisch von Frauen regiert wurde, von Reichsäbtissinnen, Stiftsdamen und Kaiserwitwen. In der Zeit der Staufer sei Quedlinburg aber "Provinz"-Stadt geworden. Den größten städtebaulichen Aufschwung erlebte die Stadt nach dem 30-jährigen Krieg. Die meisten der rund 1200 erhaltenen Fachwerkhäuser, die heute noch eindrucksvoll das Ortsbild bestimmen, sind in jener Zeit entstanden. Sehr beeindruckend ist heute noch der große Marktplatz mit dem schönsten und ältesten Bauwerk der Stadt, dem Rathaus vom Ende des 13. Jahrhunderts. Allerdings drängt sich neben dem Fachwerk auch der "Industrie-Barock" dazwischen und verleiht dem Platz, an dem sich heute ein Cafe oder Restaurant an das andere reiht, völlig verschiedene Baustile.
Im Laufe des 18. und besonders des 19. Jahrhunderts hatte sich in Quedlinburg durch Blumen- und Saatzucht ein beachtlicher Wohlstand entwickelt, der städtebaulich in einer Reihe von Jugendstil-Villen seinen Ausdruck fand. Quedlinburg gehörte, wie der Fremdenführer behauptete, zu den reichsten Städten Deutschlands und hatte den größten Saatzuchtbetrieb des Reiches, der auch der größte Arbeitgeber war. "Das war zur Zeit des Urgroßvaters unseres heutigen Bürgermeisters", betonte er. So habe 1907 sogar Rosa Luxemburg vor 800 Quedlinburger Saatzuchtarbeitern gesprochen.
Der Fremdenführer bedauerte, dass die historische Altstadt Quedlinburgs, die kaum nennenswerte Zerstörungen im letzten Weltkrieg erlitten hat, unter der Herrschaft der DDR dem Verfall preisgegeben war. Nur gelegentlich konnten erfahrene Restauratoren aus dem polnischen Thorn historisch bedeutende Häuser wiederherstellen. Die ursprünglichen Planungen der DDR-Führung in den 1960-er Jahren, die Altstadt völlig niederzureißen und durch einen zentralen Platz und sozialistische Plattenbauten zu ersetzen, scheiterte allerdings am Geld-mangel. Erst nach der Wiedervereinigung 1990 seien zielstrebig die Fachwerkbauwerke restauriert worden. Dass das nach 25 Jahren großartig gelungen ist, davon konnten sich die niedersächsischen Besucher an Ort und Stelle ein Bild machen. Hier und da ein verfallenes, vernageltes Haus war schon auffallend. Der Grund waren meistens ungeklärte Besitzverhältnisse nach der Wende. Stolz sind die Quedlinburger jedoch darüber, dass zur Tausendjahrfeier der Verleihung des Markt-, Münz- und Zollrechts große Teile der Quedlinburger Altstadt und der Königshofkomplex im Dezember 1994 auf Antrag Deutschlands auf die Liste der Welterbestaaten der UNESCO gesetzt worden sind, als ein herausragendes Beispiel des Typus von Gebäuden oder architektonischen Ensembles oder einer Landschaft, die bedeutsame Abschnitte in der menschlichen Geschichte darstellen.
Dass ganz zum Schluss der Stadtführung ausgerechnet noch ein kräftiger Regenschauer die Reisegesellschaft überraschte und teilweise mit einer nassen Dusche "erfrischte", tat dem guten Gesamteindruck von Quedlinburg keinen Abbruch.
Auf der "Nordharzer Autobahn" ging es im Bus zurück nach Wöltingerode und dann "Richtung Heimat", wo die Reisegesellschaft der Parlamentarischen Vereinigung Niedersachsen e.V. auf die Minute pünktlich, wie im Programm angekündigt, in Hannover eintraf. Wieder einmal hatte der Reisedienst Rinder aus Barsinghausen, diesmal mit dem von vorherigen Reisen gut bekannten Dieter am Steuer, die Gäste hervorragend betreut und immer sicher und pünktlich zu den vereinbarten Zielen gefahren, so dass auch diese Reise, die vom PVN-Vorstand angeregt, von Geschäftsführer Udo Mientus und Frau Sabine Sonntag wiederum großartig organisiert und betreut wurde, zum Erlebnis für alle Teilnehmer wurde. Viele von ihnen werden sich sicher auf die diesjährige große Fünf-Tage-Reise in den Rheingau freuen, die vom 12. bis 16. Oktober 2014 durch Hessen und Rheinland-Pfalz mit Empfängen in den Landtagen in Wiesbaden und Mainz führen wird.