Bei den "Parlamentarischen Brüdern und Schwestern" in Thüringen

 

Erfurt - Weimar - Gotha - Eisenach: Berühmte Stätten der Erinnerung / Die ehemalige DDR in völlig neuem Glanz

Erfurt, die Landeshauptstadt des Freistaates Thüringen mit dem Landesparlament, Eisenach mit der Wartburg, Gotha mit der historischen Stätte der Gründung der SPD, Weimar mit der Herzogin Anna Amalia Bibliothek und Buchenwald waren die Schwerpunkte der diesjährigen großen Reise der Parlamentarischen Vereinigung Niedersachsen zu den "Parlamentarischen Brüdern und Schwestern" nach Thüringen. Vom 6. bis 10. September 2015 reisten 40 Teilnehmer, Mitglieder mit ihren Partnern, im Omnibus kreuz und quer durch das Bundesland Thüringen und erlebten die ehemalige DDR in völlig neuem Glanz.

Die Fassaden sowohl der privaten Häuser als auch der öffentlichen Gebäude in den Städten ebenso wie in den kleinsten Dörfern, ferner fast alle Straßen, neue Autobahnen mit vielen Tunnels waren 25 Jahre nach der Wieder-vereinigung nicht wiederzuerkennen. Die Niedersachsen staunten nicht schlecht. Überhaupt war diese Reise, die unter der Führung des PVN-Vorsitzenden Ulrich Biel stand und vom Geschäftsführer Udo Mientus und Frau Sabine Sonntag hervorragend vorbereitet war, wiederum ein unvergessliches Erlebnis.

Am Sonntagmorgen, 6. September 2015, in aller Frühe nahm der Omnibus des Reiseunternehmens Rinder aus Barsinghausen das Groß der Teilnehmer am Zentralen Omnibusbahnhof in Hannover auf. Es gab ein großes Hallo und freudiges Wiedersehen, denn fast alle kannten sich von vorhergehenden Reisen. So war es nahezu selbstverständlich, dass jeder im Bus "seinen" Platz einnahm, auf dem er schon jedes Mal gesessen hatte. Neulinge mussten mit noch leeren Plätzen vorlieb nehmen. Auch der Fahrer Peter Schenk war ein alter Bekannter, der die Reisegesellschaft sicher durch alle Fährnisse steuerte und unaufdringlich betreute.

Zuerst in Eisenach auf die Wartburg

Die erste Station war Eisenach mit der Wartburg. Der Aufstieg über mehrere hundert Treppenstufen war recht mühsam und beschwerlich (Fußkranke konnten allerdings für zwei Euro bequem mit dem Taxi fahren); aber schon der Blick über die Stadt und die Thüringer Berglandschaft bei strahlendem Sonnenschein lohnte sich ebenso wie die interessante Führung auf der Burg. Bei einem Rundgang ging es treppauf, treppab durch die drei Etagen des von Ludwig dem Springer aus dem Adelsgeschlecht der Ludowinger im 12. Jahrhundert gegründeten Wartburg. Von der Rüstkammer und dem schönsten Raum, der Kemenate der heiligen Elisabeth, mit Hunderten Mosaiken und vier bis fünf Millionen goldener Glasplättchen verziert, führte der Weg über das Landgrafenzimmer mit Fresken und romantischen Darstellungen von Moritz von Schwind zum Sängersaal. In ihm fand 1206 der berühmte Sängerwettstreit statt, bei dem der schlechteste Sänger am Ende geköpft wurde. Weiter ging es in den Rittersaal, dem heutigen 300 Quadratmeter großen Festsaal als Prunkstück. Danach führte der Weg in den Hof mit dem Ritterhaus und der Vogtei, darin die Luther-Stube, in der Martin Luther vom 4. Mai 1521 bis 1. März 1522 das Neue Testament der Bibel aus dem Griechischen erstmals in verständliches Deutsch übersetzt hat. Der 1483 geborene Mönch, Priester und Professor an der Universität Erfurt hatte am 31. Oktober 1517 die 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg genagelt. Darin verurteilte er das Lotterleben des Papsttums samt Ablass, mit dem man sich mit Geld von seinen Sünden loskaufen konnte. Luther wurde nach verweigertem Widerruf von Kaiser Karl V. mit der Reichsacht bestraft und für vogelfrei erklärt. Er flüchtete aus Erfurt und wurde von Kurfürst Friedrich dem Weisen auf die Wart-burg gebracht, wo er unerkannt als "Junker Jörg" arbeitete und im "Kavaliersgefängnis", einer kleinen, spartanisch für ihn eingerichteten Stube, die Bibel übersetzte.

Die niedersächsischen Besucher erfuhren bei ihrem Rundgang weiter, dass die Wartburg, wie kaum eine andere Burg in Deutschland, mit der deutschen Geschichte verbunden ist. Nicht nur, dass Johann Wolfgang von Goethe seit 1777 des Öfteren auf der Wartburg weilte und dichtete, sondern auch, dass hier 1817, genau 300 Jahre nach dem Anschlag der 95 Thesen, das erste Wartburgfest stattfand, bei dem die Studenten der Burschenschaften erstmals die Einheit Deutschlands statt der Kleinstaaterei forderten. Nach dem zweiten Wartburgfest im Revolutionsjahr 1848 wurde die Wartburg nationales Denkmal. Seit 1999 ist sie UNESCO-Welterbe.

Erfurt - Stadt mit 1.600 Kulturdenkmälern

Nach so viel Historie zum Auftakt der Reise erwartete das Vier-Sterne-Hotel "Mercure" in Erfurt die niedersächsische Reisegesellschaft. Das Hotel lag erfreulicherweise mitten in der Altstadt und blieb für die gesamte Reise Stammquartier, von dem aus die anderen Reiseziele mit dem Bus angesteuert wurden.

Erfurt, die Landeshauptstadt des Freistaats Thüringen mit über 200.000 Einwohnern entpuppte sich bei der Stadtbesichtigung am nächsten Vormittag als liebenswerte, einladende Stadt mit Charme und Atmosphäre. Es ist geradezu vorbildlich, wie Erfurt die Erneuerung nach der Wiedervereinigung Deutschlands bewältigt hat - nicht zuletzt auch Dank des Solidaritätszuschlags, genannt "Soli", der deutschen Steuerzahler. Die Fassaden aller Häuser und öffentlichen Gebäude waren erneuert und frisch gestrichen. Die Stadt präsentierte sich wie aus dem Ei gepellt, sauber und adrett als Vorzeigeobjekt der ehemaligen DDR.

Nun erfährt man eine Stadt meistens so gut, wie sie einem der Fremdenführer darzustellen vermag. Unsere Gruppe hatte mit Dr. Hans Schütt ganz großes Glück. Mit Kompetenz und Begeisterung erklärte der gebürtige Erfurter und ehemalige Geschichtslehrer seine Heimatstadt mit dem Wesentlichen aus Geschichte und DDR-Zeit, gestern und heute. So erfuhren und sahen die Besucher, dass Erfurt eine der am besten erhaltenen mittelalterlichen Stadtkerne Deutschlands hat, dass schmucke Patrizierhäuser und liebevoll restaurierte Fachwerkhäuser zu den über 1.600 Kulturdenkmälern gehören, die in der Denkmalsliste eingetragen sind. Zu den sehenswerten Bauten gehört beispielsweise die Krämerbrücke, die mit den durchgehend überbauten und bewohnten Häusern die längste ihrer Art in Europa und das Wahrzeichen der Stadt ist. Ferner erfuhren die Gäste auch, dass die alte Synagoge zu den wenigen erhaltenen mittelalterlichen Synagogen gehört und ebenfalls die älteste ihrer Art in Europa ist. Sehr reizvoll präsentierte sich der Fischmarkt mit seinen wundervollen Renaissancebauten. Die Niedersachsen hörten weiter, dass Erfurt im späten Mittelalter ein bedeutendes geistiges und kulturelles Zentrum war, in dem vor allem Goethe, Schiller, Bach, Liszt und von Humboldt ihre Spuren hinterlassen haben, in dem besonders aber im Mittelalter Martin Luther der berühmteste Sohn der Stadt war. In der Erfurter Universität, die 1339 gegründet wurde und damit eine der ältesten und berühmtesten in Deutschland war, hatte er von 1501 bis 1505 studiert, den Abschluss als Magister bestanden und später sogar als Professor gelehrt. Stadtführer Schütt verstand es auch, immer mal wieder Anekdoten anzubringen. Als es darum ging, dass Erfurt von Anfang an zum Bistum Mainz gehörte und unter dem Reformator Martin Luther evangelisch wurde, gab er zum besten: "Was ist der Unterschied zwischen katholischen und evangelischen Pfarrhäusern? - Bei den evangelischen hängen die Windeln vor dem Haus......"

Wie sich vieles nach der Wende verändert hat, merkte man auch daran, dass dort, wo früher fast jeder Einwohner seinen Schrebergarten mit der dazugehörigen Datscha hatte, heute Aldi, Lidl & Co oder Mercedes, Audi und andere Firmen mit großen Ausstellungsflächen dazu Getränkemärkte, McDonalds usw. vorherrschen. Und auch auf dem Lande, in Dörfern und Kleinstädten waren nahezu alle Häuser renoviert und frisch gestrichen: "Blühende Ortschaften."

Landtags-Plenarsaal als Glaspalast mit freier Sicht auf die Volksvertreter

Die niedersächsischen Parlamentarier sind aber nicht nach Erfurt gereist, um nur die Stadt kennenzulernen, sondern vor allem auch, um den Landtag zu besuchen und mit den "Parlamentarischen Brüdern und Schwestern" zu diskutieren, wie das bei diesen Reisen der Parlamentarischen Vereinigung üblich und immer der Höhepunkt ist. Erfurt war insofern ein interessantes Objekt, als die Besucher hier einen neu gebauten Plenarsaal als Glaspalast sahen mit freier Sicht des Volkes von außen auf die Tätigkeit der Volksvertreter im Inneren. Sachlichkeit, schlichte Eleganz und Transparenz zeichnen den Plenarsaal des Parlaments aus. Präsidium, Rednerpult und die Plätze der Abgeordneten und Regierungsbänke sind neben einander im Kreis angeordnet. Weil das in den 30er Jahren errichtete Gebäude abgerissen wurde, konnte frei geplant und gebaut werden, für rund 65 Millionen Euro. Der Neubau, von allen Seiten einsichtbar, ist eingebettet in ein Ensemble weiterer Landtagsbauten. Hier sind die Funktionsgebäude mit den Zimmern der Abgeordneten in einem anderen neoklassizistischen Gebäudekomplex untergebracht, und das 1950 als erstes Verwaltungsgebäude Thüringens errichtete Hochhaus der Verwaltung des ehemaligen Bezirks Erfurt, im Volksmund "Eierkasten" genannt, gehört ebenfalls zu den Funktionsbauten des Thüringer Landtags. Übrigens, im schönsten und einem der größten Gebäude Erfurts residiert heute Ministerpräsident Bodo Ramelow, Deutschlands erster Regierungschef der Linken. Er sitzt mit seiner Staatskanzlei in der ehemaligen kurmainzischen Statthalterei, einem Anfang des 18. Jahrhunderts errichteten Prachtbau in fränkischem Barock.

Nachdem ein Mitarbeiter der Landtagsverwaltung die Architektur und Historie der Landtags-gebäude eingehend erklärt hatte, sollte eigentlich der Höhepunkt dieser Reise der nieder-sächsischen Parlamentarier, die politische Diskussion mit den Thüringer Parlamentariern, im Plenarsaal folgen. Doch stattdessen erschien die Dame des Protokolls und beendete abrupt die Veranstaltung, weil laut Plan das Mittagessen auf dem Programm stand. Die erwartungs-frohen und enttäuschten niedersächsischen Politiker durften noch ein paar Fragen stellen, dann war Schluss.

Allerdings hatten der Vorstand der PVN und einige Reiseteilnehmer das Glück, beim anschließenden Mittagessen mit Thüringer Landtagsabgeordneten, darunter als Vertreter des erkrankten Landtagspräsidenten Christian Carius Vizepräsident Höhn, und ehemaligen Parlamentariern am Tisch zu sitzen und alle interessanten Fragen diskutieren zu können, die eigentlich mit der gesamten Reisegesellschaft hätten besprochen werden sollen und müssen. So konnte der mitgereiste frühere niedersächsische Landtagspräsident Prof. Rolf Wern-stedt den entsprechenden Bericht zum politischen Teil der Reise verfassen.

Nach den obligatorischen Tischreden beim gemeinsamen Mittagessen dankte der PVN-Vorsitzende Ulrich Biel den Gastgebern und stellte ihnen die Parlamentarische Vereinigung Niedersachsen vor. Dabei betonte er, dass hier sowohl aktive als auch ehemalige Abgeordnete Mitglieder sind, so dass die Ausgeschiedenen - Biel: "Einmal Parlamentarier - immer Parlamentarier" - durch den ständigen Gedankenaustausch mit dem Landtag verbunden bleiben. Biel wies besonders darauf hin, dass die PVN eine politische Vereinigung, aber keine parteipolitische Vereinigung ist und über Fraktionsgrenzen hinweg agiert. Damit seien die Mitglieder bisher sehr gut gefahren. Als Gastgeschenk überreichte er einen wertvollen Pelikan-Füllfederhalter und die Chronik "Zehn Jahre Parlamentarische Vereinigung Niedersachsen".

Gotha und Schloss Friedenstein

Am nächsten Tag ging es in Richtung Gotha. Gotha hatte für die niedersächsischen Besucher viel zu bieten. Großes Interesse und auch Bewunderung erregte das imposante Schloss Friedenstein mitten in einer ausgedehnten Parklandschaft. Es beherbergt heute drei Museen: das Schlossmuseum, das Museum der Natur und das Historische Museum. Im Schlossmuseum sind die prächtigen herzoglichen Gemächer das 17. bis 19. Jahrhunderts zu sehen, die sich in der zweiten Etage über zwei Flügel des riesigen Schlosses erstrecken. An dem kulturgeschichtlichen Hof von Gotha verkehrten einstmals Goethe, Voltaire, Friedrich der Große oder Napoleon. Im Schlossmuseum können neben historischen Möbeln kostbare Uhren, Porzellan, Gemälde, Münzen und vieles mehr bewundert werden. Die Kunstkammer zeigt herausragende Exponate aus Gold, Silber, Elfenbein, Bernstein und Nautilus, Ostasiatika oder Kurioses wie einen der wenigen originalen Napoleon-Hüte der Welt. Die Geschichte des Schlosses Friedenstein begann im 30-jährigen Krieg. Von 1643 an baute der protestantische Herzog Ernst I. von Sachsen-Gotha, genannt der Fromme, auf den Ruinen der geschleiften Burg Grimmenstein in nur zwölf Jahren das heute größte frühbarocke Schloss Deutschlands. Der Herzog gab ihm den symbol-trächtigen Namen Friedenstein, der ein neues Zeitalter ankündigte.

Gotha - Gründungsstätte der deutschen Sozialdemokratie

Einen nächsten Höhepunkt der Reise gab es für die niedersächsischen Parlamentarier, der besonders den mitgereisten Sozialdemokraten das Herz höher schlagen ließ: den Besuch der Gründungsstätte der deutschen Sozialdemokratie in Gotha. Im historischen "Kaltwasser'schen" Saal des Mitte des 19. Jahrhunderts errichteten Vergnügungslokals "Tivoli" hatte vom 22. bis 27. Mai 1875 der Vereinigungskongress des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV), genannt die Lassalleaner, mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), genannt die Eisenacher, zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) stattgefunden. Dabei wurden mit dem "Gothaer Programm" Weltgeschichte geschrieben und erstmals soziale Forderungen erhoben, u.a. demokratisches Wahlrecht; Gesetzgebung und Rechtsprechung durch das Volk; Meinungs-, Versammlungs- und Koalitionsfreiheit; staatliche und unentgeltliche Volkserziehung mit Schulpflicht; gesetzlich fixierter Normalarbeitstag; Verbot der Kinder- und Sonntagsarbeit; Einschränkung der Frauenarbeit; Verbesserung im Arbeits- und Versicherungsschutz; ungehinderte Selbstverwaltung der Hilfskassen.

Gespannt und teils ehrfurchtsvoll betrat nun die niedersächsische Reisegruppe das "Tivoli", das heute ein Haus der Geschichte und Demokratie ist. Im historischen "Kaltwasser'schen" Saal mit dem großen Dokumentarfoto des Vereinigungskongresse an der Stirnseite hörten sie andächtig den Vortrag über die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie mit allen Höhen und Tiefen und die Entwicklung dieses Hauses als Gedenkstätte. Es war während der Zeit des Nationalsozialismus eine Kindertagesstätte und nach dem Krieg, erst 1956 zum 10. Jahrestag der Gründung der SED, als nationale Gedenkstätte mit einer Ausstellung wieder eröffnet und 1975, zum 100. Jahrestag des Vereinigungskongresses als Arbeitergedenkstätte "Gothaer Parteitag 1875" umgestaltet worden. Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 konnten sich im historischen Festsaal erst der SPD-Kreisverband Gotha und dann der SPD-Landesverband Thüringen im Beisein des Präsidenten der Sozialistischen Internationale und Ehrenvorsitzenden der SPD, Bundeskanzler a.D. Willy Brandt, nach 44 Jahren SED-Diktatur wieder neugründen.

Das Gebäude des "Tivoli" selbst war, wie vieles in der damaligen DDR, dem Verfall preisgegeben und konnte nur eingeschränkt genutzt werden. Die Gedenkstätte wurde im Oktober 1990 wegen Baufälligkeit geschlossen. Etappenweise wurde das Haus ab 1998 komplett mit Mitteln aus dem städtischen Haushalt saniert und am 20. Mai 2000 anlässlich des 125. Jahrestages des Vereinigungskongresses in Anwesenheit des damaligen SPD-Vorsitzenden und Bundeskanzlers Gerhard Schröder festlich wieder in Betrieb genommen. Seit 2005 hat der Förderverein Gothaer Tivoli das Haus als Ort der Begegnung und des politischen Dialogs sowie als Tagungs- und internationale Begegnungsstätte übernommen.

PVN-Vorsitzender Ulrich Biel trug in das Gästebuch ein: "Die Parlamentarische Vereinigung Niedersachsen, eine parteiübergreifende Vereinigung, hat mit großem Interesse diesen geschichtsträchtigen Ort der deutschen Sozialdemokratie am 8. September 2015 besucht. Vielen Dank für die Informationen."

Die Rückfahrt durch den Thüringer Wald – an Oberhof vorbei – erfolgte mit einem Aufenthalt in Suhl, bei dem die Besichtigung des Waffenmuseums auf dem Programm stand. Mit diesen vielen Eindrücken des Tages ging es auf die Rückfahrt ins Hotel.

Mit Thüringer Bratwurst bei der Thüringer Vereinigung

Ein gemeinsamer Grillabend mit der Vereinigung ehemaliger Abgeordneter des Thüringischen Landtags, der wegen des unfreundlichen Wetters nicht draußen, sondern "im Saale" des Landtags in Erfurt stattfand, beschloss diesen interessanten Tag. Bei typischen, vorzüglichen Thüringer Bratwürsten und sonstigen lukullischen Delikatessen und Getränken gab es an allen Tischen meistens sehr interessante Gespräche mit den "Parlamentarischen Brüdern und Schwestern" des Freistaates und dem Vorstand der Vereinigung mit dem Vorsitzenden Hartmut Siegmann, der bereits beim zehnjährigen Jubiläum der Niedersachsen in Hannover mitgefeiert hatte und sich nun ebenfalls als guter Gastgeber zeigte.

Konzentrationslager Buchenwald - dunkelstes Kapitel deutscher Geschichte

Am nächsten Tag, 9. September, standen die niedersächsischen Reiseteilnehmer morgens auf einem riesigen, weitläufigen freien Platz und froren bei einem unangenehmen, schneidenden Ostwind kräftig durch. Sie erhielten damit buchstäblich "am eigenen Leibe" einen Eindruck, wie es den Zehntausenden Häftlingen ergangen ist, die an dieser Stelle vor über 70 Jahren jahrelang Tag für Tag jeden Morgen und jeden Abend stundenlang in dünnen gestreiften Drillichanzügen die Prozedur des Zählappells bei Wind und Wetter erdulden mussten. Es war der Appellplatz des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald bei Weimar, eines der größten Arbeitslager in der Zeit des Nationalsozialismus von 1937 bis 1945 in Deutschland. Über 250.000 Menschen aus über 50 Nationen waren hier im Laufe der Jahre inhaftiert. Die Zahl der Todesopfer wird auf 56.000 geschätzt, davon waren etwa 11.800 Juden. Auch der Vorsitzende der KPD, Reichstagsabgeordneter Ernst Thälmann, wurde hier getötet. Bevor amerikanische Soldaten das Lager am 11. April 1945 befreiten, hatten Häftlinge einer geheimen Widerstandsorganisation von der fliehenden Bewachungsmannschaft über hundert SS-Leute in ihre Gewalt gebracht und nach entsprechender "Behandlung" den Amerikanern übergeben.

Buchenwald, das Synonym für schreckliche Verbrechen der Nationalsozialisten, erlangte nach der Befreiung und nach dem Abzug der amerikanischen Truppen noch einmal traurige "Berühmtheit", als die Geheimpolizei der nachfolgenden sowjetischen Besatzungsmacht das Konzentrationslager als berüchtigtes "Speziallager Nr. 2" bis 1950 weiterführte und dieses Mal etwa 30.000 Deutsche, vorwiegend Nationalsozialisten, unter unmenschlichen Haftbedingungen einsperrte, drangsalierte und 7.100 ermordete.

Heute ist das ehemalige Konzentrationslager eine nationale Gedenkstätte. Wenige Gebäude sind erhalten, darunter das Lagertor mit der Inschrift "Jedem das Seine", das vom Appellplatz aus zu lesen war und die Häftlinge bei den täglichen Appellen zynisch daran erinnern sollte, "dass sie bekamen, was sie verdienen". In vier ständigen historischen Ausstellungen sind Bilder, Fotos, Dokumente, Zeitzeugenberichte und Relikte zu sehen, einschließlich der Verbrennungsöfen für die Verstorbenen und Ermordeten sowie die perfide Genickschussanlage, in der vorwiegend Kommissare der sowjetischen Kriegsgefangenen bei Vortäuschung einer ärztlichen Untersuchung durch ein kleines Loch in der Wand aus dem Nebenraum hinterrücks erschossen wurden.

Buchenwald war jedoch kein Vernichtungslager mit industrieller Vernichtung wie Lager in Polen, sondern ein Arbeitslager, in dem Hunderttausende Häftlinge in über hundert Nebenlagern überwiegend für die deutsche Rüstungsproduktion arbeiten mussten. Viele Gefangene starben an unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen, Krankheiten und Folter. Kinder, Kranke und Nichtarbeitsfähige wurden in das Vernichtungslager Auschwitz transportiert. Das ehemals größte deutsche KZ-Arbeitslager wurde 1990 nach der neuen Konzeption mit der Finanzierung der Anlage durch den Freistaat Thüringen zur größten KZ-Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland. Eine Kranzniederlegung beendete den Besuch der niedersächsischen Parlamentarier in Buchenwald. Schweigend und erschüttert von den Berichten der Museumsführer und dem Gesehenen verließen die Besucher den Ort eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus.

Herzogin Anna Amalia Bibliothek und Weimarer Klassik

Am Nachmittag konnten sich die Teilnehmer der Reise wieder schöneren Dingen zuwenden. Nachdem Zeit und Gelegenheit war, die mit berühmten Stätten gesegnete Innenstadt von Weimar auf eigene Faust zu erkunden und noch einmal die köstliche Thüringer Bratwurst zu essen, traf man sich später zum Besuch der weltberühmten Herzogin Anna Amalia Bibliothek mitten in der Innenstadt am Platz der Republik Nr.1, unweit des Goethe-Nationalmuseums und des Bauhaus-Museums. Bei der Besichtigung erfuhren die niedersächsischen Besucher, dass die 1691 von Herzog Wilhelm Ernst gegründete Bibliothek zum 300-jährigen Jubiläum 1991 nach ihrer größten Förderin, der Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar und Eisenach (1739 - 1807), benannt wurde. Es ist heute eine kulturgeschichtliche und Forschungsbibliothek mit literarischen Werken vom 9. bis zum 21. Jahrhundert. Von 1797 bis zu seinem Tode leitete Johann Wolfgang von Goethe 35 Jahre lang die Bibliothek und führte sie zu einer der bedeutendsten jener Zeit in Deutschland. Sie prägte die Weimarer Klassik und ist bis heute eines der wichtigsten Archive dieser Epochen. Seit 1998 gehört die Bibliothek mit ihren mehr als 120.000 Bänden als Teil des Ensembles Klassisches Weimar mit seiner brillanten Architektur, ein einmaliges Kleinod, zum Welterbe der UNESCO, als eine der insgesamt elf Gedenkstätten in Weimar.

Am Abend des 2. September 2004 hat ein verheerender Brand unwiederbringliche Schätze der Herzogin Anna Amalia Bibliothek vernichtet. Das im Dachstuhl ausgebrochene Feuer hatte das Bibliotheksgebäude, das Grüne Schloss mit dem Rokokosaal besonders in Mitleidenschaft gezogen. Etwa 50.000 Bände und 36 wertvolle Gemälde wurden ein Raub der Flammen, über 62.000 Bücher wurden durch 300.000 Liter Löschwasser vernichtet oder stark beschädigt. Der materielle Schaden wird auf 67 Millionen Euro geschätzt. Die Wiederherstellung des Bibliotheksgebäudes wurde 2007 abgeschlossen. Die Sanierung hatte 12,8 Millionen Euro gekostet. Aber der ideelle Verlust ist schmerzlich und unbezahlbar.

Der Besuch dieser berühmten Weimarer Bibliothek war vor allem für alle Kultur- und Literaturbeflissenen ein besonderes Erlebnis.

Abschied mit bleibenden Eindrücken

Mit dem gemeinsamen Abschlussabend in Kromer's Restaurant und Gewölbekeller endete die interessante und erlebnisreiche Zeit in Erfurt. Noch einmal wurde bei hausgemachter Rinderroulade mit Thüringer Klößen und Rotkohl, rheinhessischem Riesling oder Chardon-nay-Sauvignon in Erinnerungen geschwelgt, neu geschlossene Freundschaften wurden begossen, alte Freundschaften gefestigt. Der nächtliche Spaziergang zurück zum Hotel durch die malerisch beleuchtete Innenstadt mit den angestrahlten, herausgeputzten RenaissanceGebäuden und privaten Häusern sowie das nächtliche muntere Treiben auf dem Fischmarkt hinterließen einen bleibenden Eindruck von Thüringens Landeshauptstadt Erfurt.

Stolberg - ein Kleinod im Südharz

Wie auf der Hinfahrt in Eisenach, so wurde auf der Rückfahrt in Stolberg im Harz Station gemacht. Kaum einer der Reisegesellschaft hatte zuvor von dem malerischen Luftkurort, von dieser historischen Europa-Stadt und Thomas-Müntzer-Stadt gehört. Aber alle waren angenehm überrascht, zumal die sehr engagierte und eloquente Fremdenführerin ihre Gäste zu begeistern wusste. So erfuhren sie, dass in einem der schönsten Fachwerkhäuser, dem 1535 als Münzwerkstatt errichteten und heute als Museum Alte Münze dienenden Haus um 1489 in der dritten Etage der Prediger und Bauernführer Thomas Müntzer geboren wurde, jener Reformator und Revolutionär, der im Bauernkrieg ebenso für eine gewaltsame Befreiung der Bauern eintrat, wie für eine neue Gesellschaftsordnung mit Abschaffung von Privilegien des Adels und von Klöstern und dafür 1525 gefangengenommen, gefoltert und öffentlich hingerichtet wurde. Die DDR als Arbeiter- und Bauernstaat hatte ihn zum Nationalhelden emporstilisiert. Kurios ist das 1452 als prachtvolles Bauwerk errichtete Rathaus ohne Teppen an einem Steilhang. Um die drei Etagen, die damals als Kaufhaus, Schule oder Tanzboden genutzt wurden, separat erreichen zu können, schaffte der Architekt den Zugang zu den einzelnen Stockwerken über eine viele Meter breite steinerne Außentreppe. Sie wurde auch beibehalten, als das Haus seine neue Funktion als Rathaus erhielt - bis heute. Unter vielem anderen erfuhren die Niedersachsen auch noch, dass in dem hoch über der Stadt gelegenen Schloss, wo seit 1210 die Grafen von Stolberg residierten, 1506 auch Juliane von Stolberg-Wernigerode geboren wurde und von ihren 17 Kindern die beiden ältesten Söhne die jüngere und ältere Linie des holländischen Hauses Oranien begründeten, das Stolberg heute noch verehrt. Das abgeschiedene Harzstädtchen bei strahlendem Sonnenschein und die Rast vor einer Dorf-Bäckerei mit köstlichem selbstfabrizierten Backwerk zum Abschied ließen Stolberg in guter Erinnerung bleiben.

Auf Wiedersehen im nächsten Jahr

Peter Schenk am Steuer des Busses brachte die niedersächsische Reisegesellschaft auch über die letzten hundert Kilometer gewohnt sicher und früher als gedacht ans Ziel in Hannover. Beim Abschied waren sich alle einig: Dieses war wieder eine gelungene Reise der Parlamentarischen Vereinigung Niedersachsen mit so viel neuen Eindrücken und Erlebnissen, Gesprächen und Geschichten, Gemeinsamkeiten und Freundschaften, die noch lange in Erinnerung bleiben werden - und heute schon Lust auf die nächste große Reise im kommenden Jahr machen.