Große Auslandsreise der Parlamentarischen Vereinigung Niedersachsen

Niedersächsische Parlamentarier auf Europa-Tour

Brüssel ist immer eine Reise wert - Politik für Niedersachsen in Europas Hauptstadt -

Belgiens einmalig-komisches politisches Gebilde - Zu Besuch im Düsseldorfer Landtag - Fünf Tage Politik und Tourismus

Ein Reisebericht von Rolf Zick

Die diesjährige große Reise der Parlamentarischen Vereinigung Niedersachsen (PVN) vom 15. bis 19. September 2019 als Europa-Tour nach Brüssel, Belgien und Nordrhein-Westfalen wird als eine der interessantesten und denkwürdigsten Veranstaltungen für die 43 Reiseteilnehmer in die Geschichte der Parlamentarier eingehen. Es waren wiederum fast ausschließlich dieselben interessierten und reisefreudigen ehemaligen Abgeordneten mit ihren Partnern/-innen, die sich am frühen Sonntagmorgen auf den Busbahnhof in Hannover trafen. Sie kennen und sie schätzen sich seit Jahr und Tag, über alle Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg. Und selbstverständlich fand jeder wieder "seinen" angestammten Platz im Bus, so dass es kein langes Suchen und Drängeln gab.

 

Diesmal war das vom PVN-Geschäftsführer Udo Mientus und Sabine Sonntag zusammengestellte und mustergültig betreute Programm vollgestopft mit Politik und Tourismus. Im Mittelpunkt standen Belgien und seine Hauptstadt Brüssel, Europas "Mittelpunkt", sowie die niedersächsische Politik in der Europäischen Union in Brüssel.

Aachen - das Kurbad Europas

Schon auf der Hinreise durch Nordrhein-Westfalen gab es den ersten Stopp in der alten Kaiser-Stadt Aachen. Zweierlei war hier besonders erwähnenswert: Einmal Bad Aachen ist seit über 2.000 Jahren Deutschland ältester Kurort, in dem schon "die alten Römer" in den heißen Thermalquellen badeten und in dem im Mittelalter die Schönen und die Reichen oft mehrere Jahre zur Kur weilten; und zum anderen steht hier der 1200-jährige Aachener Dom, auch Hoher Dom zu Aachen, Aachener Münster oder Aachener Marienkirche genannt - das Wahrzeichen der Stadt. Karl der Große ließ den Zentralbau und das Westwerk gegen Ende des 8. Jahrhunderts als Kern seiner Pfalzanlage errichten. Dann wurde die Kirche von 795 bis 803 gebaut und mehrfach um- und ausgebaut. So besteht der Dom aus mehreren Teilbauten und kennzeichnet die Epochen vom frühen Mittelalter bis in die Neuzeit. Zu den Anbauten zählen die gotische Chorhalle und der vielgestaltige Kapellenkranz. So wandelte sich die Kirche im Laufe der Geschichte von der einst karolingischen Pfalzkapelle zur Bischofskirche der Gegenwart. Von 936 bis 1531 war sie Krönungsort römisch-deutscher Könige.

Weitere interessante Bauten in Aachen sind, wie die niedersächsische Reisegesellschaft bei einer Stadtbesichtigung erfuhr, das alte Rathaus, das auf den Grundmauern des ehemaligen Königspalastes aufgebaut und 1348 eingeweiht wurde und für viele Jahrhunderte den größten überdachten Saal nördlich der Alpen gehabt habe. Hier wird auch der berühmte Karlspreis verliehen. Weiterhin zählen zwei ehemalige Stadttore, die romanische Adalbertskirche und das gotische Grashaus sowie die Säulenhalle des Elisenbrunnens und das alte Kurhaus zu den Sehenswürdigkeiten. Die beiden letzteren und eine Vielzahl weiterer Brunnen aus allen Epochen erinnern daran, dass Aachen jahrhundertelang eine beliebte Bade- und Kurstadt war. Wie der Stadtführer erzählte, war der Elisenbrunnen der einzige Brunnen für Trinkkuren; bis zu siebeneinhalb Liter täglich hätten die Patienten geschluckt, um vor allem ihr Rheuma zu kurieren. Den Reichen und Schönen sollte es zur Verschönerung dienen. Im 18. und 19. Jahrhundert sei Aachen, das von den Römern wegen der Thermalquellen gegründet worden war, das Kurbad Europas gewesen. Er ließ nicht unerwähnt, dass Karl der Große Aachen zum "zweiten Rom" machen wollte, und dass Napoleon sich in Aachen als Nachfolger Karls des Großen gefühlt habe. Heute habe die Stadt mit rund 250.000 Einwohnern über 60.000 Studenten, die an Deutschlands ältester und bedeutendster Technischen Hochschule studieren.

Ein Taxifahrer musste zum Hotel lotsen

Die Ankunft am Sonntagabend, 15. September, war allerdings ein Abenteuer, manche meinten auch eine Katastrophe. Um es gleich vorweg zu sagen: Besucher kommst Du nach Brüssel, lass das Auto zu Hause! Die Verkehrsverhältnisse in dieser "Kleinstadt" mit ihren 180.000 Einwohnern und sicher noch einmal ebenso vielen "auswärtigen Beschäftigten" sowie endlosen Besucherströmen sind gelinde gesagt eine einzige Katastrophe. Zigtausende Autofahrer kämpfen Tag und Nacht um Park- und Abstellplätze oder drängeln sich durch den Verkehr, mehr im Stau als fahrend. So sind in den ohnehin vielfach schmalen und engen Straßen und Gassen alle Einfahrten und Einbiegungen meistens zugeparkt, so dass besonders Busfahrer keine Chance haben und vielfach kapitulieren müssen. Wenn dann auch noch die vielen Baustellen dazukommen, ist oft einfach kein Durchkommen, zumal fast nirgendwo Umleitungen ausgeschildert sind. Und wenn obendrein, wie im Bus der niedersächsischen Reisegesellschaft, das Navigationsgerät ausfällt, ist es kein Wunder, wenn der Fahrer das Hotel mitten in der Stadt nicht findet. Nach vielfachen Versuchen, wobei oft beim Einbiegen in eine Straße nicht Zentimeter- sondern Millimeterarbeit geleistet werden musste, und nach vielen Irrfahrten blieb zum Schluss nur noch übrig, ein Taxi anzuheuern, das den Bus glücklich ins Ziel lotste.

Mit fast zweistündiger Verspätung trafen die Niedersachsen im Bedford Hotel Congress in der Rue du Midi 135-137 im Zentrum der Stadt ein. Hier war für die nächsten vier Nächte das Stammquartier.

Im Mittelpunkt das Europa-Parlament in Brüssel

Gleich am Montag stand das Europa-Parlament im Mittelpunkt des Programms. Mit Dutzenden von Besuchergruppen wurden auch die niedersächsischen Parlamentarier durch die Sicherheitszone geschleust, wie auf jedem Flughafen, und dann von einer ebenso kompetenten wie Eloquenten Mitarbeiterin der Pressestelle, einer Rumänin mit exzellenten Deutschkenntnissen, empfangen. Als sie erfuhr, dass sie es mit Parlamentariern, also mit "Fachleuten", zu tun hatte, war sie in ihrem Element und konnte sich auf das Wesentliche konzentrieren.

So erfuhren die niedersächsischen Besucher, dass der offizielle Sitz des Europa-Parlaments in Straßburg ist, die parlamentarischen Ausschüsse in Brüssel zusammentreten und das Generalsekretariat (Verwaltung) ihren Hauptsitz in Luxemburg hat. Das haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) 1997 einstimmig vertraglich so festgelegt. Nach Berechnungen des Europäischen Rechnungshofes könnten jährlich etwa 100 Millionen Euro eingespart werden, wenn alle Tätigkeiten des Parlaments von Straßburg nach Brüssel verlegt würden. Das ist bisher aber mehrfach gescheitert, weil alle Vertragsänderungen von den Regierungen aller Mitgliedstaaten einstimmig beschlossen und von allen nationalen Parlamenten ratifiziert werden müssen. Vor allem Frankreich würde schon aus Prinzip niemals auf Straßburg als Parlamentssitz verzichten. Allerdings finden auch in Brüssel Sitzungen des Europa-Parlaments statt.

Seit 1979 wird das Europa-Parlament alle fünf Jahre neu gewählt. Die letzte Wahl war am 26. Mai dieses Jahres. 750 Abgeordnete und der Präsident, der Italiener David Sassoli von den Sozialdemokraten, wurden gewählt; das Parlament hat derzeit sieben Fraktionen und 54 fraktionslose Abgeordnete. Das EU-Parlament wird nach dem jeweiligen Wahlrecht der Mitgliedstaaten, aber in allgemeiner, unmittelbarer, freier und geheimer Wahl gewählt. Es ist damit das einzige direkt gewählte Organ der Europäischen Union und die einzige direkt gewählte supranationale Institution weltweit.

Allerdings machte die Besucherführerin auch deutlich, das im Europa-Parlament der entscheidende, typische Gegensatz zwischen Regierungsfraktion und Oppositionsfraktion fehlt. Es gibt nämlich keine EU-Regierung. So müssen bei allen Abstimmungen immer die erforderlichen Mehrheiten, meistens wechselnde Mehrheiten, gesucht werden. Dadurch sind immer wieder Kompromisse erforderlich, die durch mehr Überzeugungsarbeit gelöst werden müssen. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat übrigens dem EU-Parlament nur eine eingeschränkte demokratischen Legitimation zugesprochen und sieht seine Entscheidungskompetenz hinsichtlich weiterer Schritte einer europäischen Integration dadurch begrenzt.

Die derzeit aktuellsten Themen im EU-Parlament in Brüssel sind, wie die Besucherdienst-Begleiterin sagte, die Prüfung der von der zukünftigen neuen Präsidentin der Kommission, der deutschen Bundesministerin Ursula von der Leyen, vorgeschlagenen Kommissare der 28 Mitgliedstaaten und der Wirrwarr um den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien aus der Europäischen Union, der "Brexit", der lange genug an den Nerven der Abgeordneten und aller EU-Politiker gezerrt hat. Sie seien sich jedoch darin einig, keine neuen Verhandlungen mit dem neuen britischen Premierminister Johnson aufnehmen zu können und zu wollen. Es müsse allerdings mit einer Haushaltskrise und vieler weiterer Unwägbarkeiten gerechnet werden, aus denen man jedoch lernen könne. Bei den Vorschlägen für die neuen Kommissare müsse damit gerechnet werden, dass nicht alle angenommen würden; es sei das gute Recht der Abgeordneten, genau zu prüfen und ungeeignete oder unerwünschte Bewerber abzulehnen.

Im EU-Parlament können die Abgeordneten ihre Reden in ihrer Muttersprache halten, Simultandolmetscher übertragen in alle gängigen Sprachen. Derzeit sind 24 Sprachen als Amtssprachen vertreten, in denen auch alle Unterlagen verfasst werden.

Im Übrigen brauchte die Dame des Besucherdienstes den niedersächsischen Parlamentariern über den Parlamentarismus nichts weiter zu erzählen. Das erleichterte die Verständigung sehr und ließ mehr Zeit zu speziellen Fragen. Zum Schluss gab es einen Blick in den riesigen, allerdings leeren Plenarsaal. Es war sehr schade, dass kein niedersächsischer Abgeordneter des EU-Parlaments die Vereinigung im Brüssel begrüßen konnte, weil gleichzeitig das Parlament in Straßburg tagte.

Niedersächsische Politik in Brüssel

Nach dem Besuch des Europa-Parlaments marschierte die niedersächsische Besuchergruppe schnurstracks in die Rue Montoyer 61 zum Niedersachsen-Haus, dem Sitz der Landesvertretung Niedersachsens bei der Europäischen Union. Hier wurde sie vom Leiter der Vertretung, Michael Freericks, empfangen und begrüßt. Die Referenten Klaus Hullmann und Lars Koenig informierten dann über die Aufgaben der Landesvertretung und über die Arbeitsweise des Ausschusses der Regionen (AdR), eine der wichtigsten Institutionen für die niedersächsische Politik in Brüssel. Hier war der PVN-Geschäftsführer Udo Mientus in seinem Element. Immerhin war er früher über neun Jahre für den Niedersächsischen Landtag als Mitglied des Ausschusses in Brüssel tätig und kannte Land und Leute "wie seine Westentasche". Seit 2017 vertritt Birgit Honé, niedersächsische Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung, Niedersachsen im Ausschuss der Regionen. Sie erklärte hierzu einmal: "Der Ausschuss der Regionen ist ein wichtiges Gremium der Europäischen Union, dessen Stimme in Brüssel gehört wird. Ich freue mich, die Interessen Niedersachsens zu vertreten und an der politischen Willensbildung der EU mitwirken zu können."

Das 350-köpfige Beratungsgremium der lokalen und regionalen politischen Vertreter der Gebietskörperschaften der Mitgliedstaaten hat die Aufgabe, die EU-Institutionen bei der Gesetzgebung und Initiativen zu beraten, die Interessen der Gebietskörperschaften bei der Kommission und beim Rat zu vertreten sowie die EU-Politik über seine Mitglieder in den Regionen und Kommunen zu vermitteln. Die Mitglieder sind an keine Weisungen gebunden. Sie üben ihre Tätigkeit unabhängig zum allgemeinen Wohl der Union aus, heißt es. Und weiter: Der AdR möchte eine politische Versammlung sein, die sich aus gewählten Regional- und Kommunalvertretern im Dienste der europäischen Integration zusammensetzt und die institutionelle Vertretung sämtlicher Gebiete, Regionen, Städte und Gemeinden der EU gewährleistet.

"Wir müssen hier das Gras wachsen hören, um nach Hannover zu berichten, was in Brüssel geschieht", erklärte Lars Koenig. Neben 5.400 Diplomaten, 1.700 Journalisten und etwa 20.000 Lobbyisten sowie 42 internationalen Organisationen gibt es in Brüssel mehr als 300 lokale und regionale Vertretungen mit rund 50.000 Mitarbeitern. "Brüssel ist ein administratives Monstrum", meinte Klaus Hullmann. Als eine der wichtigsten Aufgaben der Landesvertretung bezeichnete er die Kohäsionspolitik. Darunter versteht man die Politik hinter den Hunderttausenden Projekten in ganz Europa, die Mittel aus den europäischen Fonds für die regionale Entwicklung (EFRE), aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und dem Kohäsionsfonds erhalten. Es geht darum, Unterschiede zwischen den verschiedenen Regionen und den Rückstand der am stärksten benachteiligten Gebiete zu verringern. Nach dem neuesten EU-Vertrag von Lissabon fügt er einen Aspekt hinzu, der sich auf den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt bezieht. "Um ihn zu stärken, vertreten wir die Anliegen für alle Kommunen und Regionen und sprechen mit einer Sprache. Wir haben Anspruch auf Gehör. Das Parlament muss uns zuhören", heißt es in der niedersächsischen Landesvertretung, und weiter: "Obwohl wir keine Entscheider sind, können wir auf Augenhöhe sprechen und Einfluss für unsere Kommunen geltend machen." Der Ausschuss der Regionen hält im Jahr sechs Plenarsitzungen ab und gibt etwa 70 bis 80 Stellungnahmen ab.

Lobbypolitik am Nabel der Finanzwelt

Einen anschaulichen Eindruck von erfolgreicher Lobbypolitik erlebten die niedersächsischen Besucher gleich am ersten Tag in Brüssel unmittelbar vor ihrem Eintreffen im EU-Parlament bei einem Besuch des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, wo sie von Dr. Hans Ulrich Schneider, früher auch niedersächsischer Landtagsabgeordneter und jetzt Vizepräsident des Verbandes, empfangen wurden. Dr. Schneider war eigens am frühen Morgen von Berlin nach Brüssel geflogen, um seine niedersächsischen "Landsleute" hier zu begrüßen und alte Bekannte wieder zu treffen. Bei der Einführung wies er auf die Lobbyarbeit gerade in Brüssel hin: "Brüssel ist praktisch der Nabel der Welt der Finanzen", sagte er. "Deutschland ist hier der größte Zahler, und wir finanzieren unsere Wettbewerber. Deshalb fordern wir Ausnahmen für kleinere und regional organisierte Finanzinstitute wie unsere deutschen Sparkassen. Doch solche kennen andere EU-Länder nicht. Deshalb kämpfen wir hier in Brüssel, auch wenn wir fast immer in der Abwehrschlacht stecken."

Wie das im Einzelnen aussieht, darüber hielt der Leiter der Brüsseler Repräsentanz des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Georg Huber, einen äußerst interessanten Vortrag unter dem Thema "Interessenvertretung EU-Politik" mit dem Lobbyansatz, Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger der EU zu nehmen durch möglichst lange Begleitung des Gesetzgebungsdienstes und Kontakte zur Kommission sowie im EU-politischen Umfeld.

Dieses war der erste Arbeitstag für die niedersächsischen Parlamentarier in Brüssel, vollgepackt mit Informationen und vielen neuen Eindrücken. Aber der Tag war noch nicht zu Ende; denn nun kam wieder die "Himmelfahrt" im abendlichen Straßenverkehr im Bus durch die belgische Hauptstadt zum Hotel. Und es kam, wie es kommen musste: Über eineinhalb Stunden "irrte" der Bus durch die verstopften Straßen und kam partout nicht zum Ziel. Aber ein Schönes hatte die Irrfahrt doch: Plötzlich landete der Bus vor Brüssels großem Riesenrad, das die Reisegesellschaft bisher noch nicht entdeckt hatte, und das in seiner prächtigen abendlichen Beleuchtung ein neuer und sicher bleibender Anblick der Stadt war. Erst als Dr. Wolfgang Schulze an einer Taxihaltestelle wieder einen Taxifahrer als Lotsen engagierte, erreichte der Bus mit den müden Besuchern endlich das ersehnte Ziel Bedford Hotel Congress.

Grand Place - einer der schönsten Plätze der Welt

Es soll an dieser Stelle nicht vergessen werden, dass der erste Tag der niedersächsischen Reisegruppe in Brüssel am frühen Morgen mit einer kurzen Stadtbesichtigung begonnen hatte und nach der "Arbeit" mit einem Stadtbummel durch das nächtliche Brüssel vorbei am Wahrzeichen "Maneken Piss" und der berühmten "Fressgasse" sowie dem noch berühmteren Grand Place, einem der schönsten Stadtplätze der Welt, endete.

Die Stadtführerin, "bewaffnet" mit einem Regenschirm, den sie wie ein Banner vor sich her trug, damit ja niemand aus der Gruppe verlorenging, hatte ihre Tour morgens mit einem sehr langen Fußmarsch hinab ins Zentrum der Stadt begonnen, weil der Bus weit außerhalb parken musste. Die Besichtigung begann am Großen Platz - Grand Place (französisch) bzw. Grote Markt (niederländisch für großer Markt). Er ist der zentrale, berühmteste Platz der belgischen Hauptstadt und ihr Wahrzeichen, ohne Zweifel eine Sehenswürdigkeit, wie sie kaum eine andere Stadt auf der Welt zu bieten hat, bei Tag und besonders bei Nacht. Mit seinen Straßencafès und Hotels ist er auch die größte Touristenattraktion.

Auf der einen Seite das gotische Rathaus mit seinem spätgotischen 96 Meter hohen Turm und der vergoldeten Statue des mit dem Drachen kämpfenden Erzengels Michael, dem Schutzpatron der Stadt, auf der Spitze, und direkt gegenüber auf der anderen Seite des Platzes Maison du Roi (Haus des Königs), das Broodhuis, das das Stadtmuseum beherbergt, verkörpern die städtische und die königlich-habsburgische Macht, dazu ringsherum die prächtigen Fassaden der 37 Zunft- und Gildehäuser im Barockstil mit ihren reichen Skulpturen, den aufwendig gestalteten Giebeln, mit Pilastern und Balustraden vervollständigen das einmalige Ensemble. Schon tagsüber ist es ein grandioser Anblick. Doch besonders abends und nachts bei der fantastischen Illumination aller Gebäude erstrahlt der Platz in noch prächtigerem Glanz. Und wenn dann noch, wie beim ersten Besuch der niedersächsischen Gäste, ein über 50 Mann starkes Blasorchester auf einer riesigen Bühne vor dem Broodhuis die vor allem von der Nachkriegsgeneration unvergessenen beliebten Melodien von Glen Miller ("In the mood") hinausschmettert, dann nimmt das Schwärmen von der Einmaligkeit dieses Brüsseler Anblicks kein Ende. Das Gesamtensemble des Grand Place ist 1998 in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen worden. Zu den weiteren Sehenswürdigkeiten Brüssels zählen noch die viele hundert Meter lange alte Markthalle aus dem Jahr 1882, der Triumphbogen und die Museen im Jubelpark, der Palast der Nation mit dem Sitz des belgischen föderalen Parlaments, das Europaviertel mit dem Berlaymont-Gebäude, in dem die Europäische Kommission ihren Hauptsitz hat, das Justus-Lipsius-Gebäude, dem Sitz des Rates der Europäischen Union, und das Europa-Parlament. Weiter außerhalb ist das Gelände der früheren Weltausstellung von 1958 mit dem riesigen Atomium aus neun Stahlkugeln, die die 165-miiliardenfache Vergrößerung einer Elementarzelle eines Eisenkristalls darstellen; die Kugeln sind begehbar, innen befinden sich Ausstellungen zum Thema Atomkraft, in der obersten Kuppel ist ein Restaurant mit Aussicht über das gesamte ehemalige Ausstellungsgelände. Und dann sind da noch vor den Toren der Stadt die riesigen königlichen Parks in der Größe von etwa 500 Fußballfeldern und die Paläste.

Belgiens verwirrende politische Struktur

Belgien ist seit der Belgischen Revolution von 1830 unabhängig und eine parlamentarische Monarchie mit einem Königshaus. Den Nordteil des Landes bildet Flandern, weitgehend ein Flächenland und die bevölkerungsreichste Region des Landes. Den Südteil Belgiens umfasst Wallonien, teil bergig und dünn besiedelt. Die politisch eigenständige Hauptstadt Brüssel befindet sich als Enklave innerhalb der flämischen Region.

Seit dem 19. Jahrhundert sind die Belgier von innerer Zerrissenheit durch die flämische (niederlän-dischsprechende) und die in Wallonien und Brüssel lebenden frankophonen (französischsprechen-den) Volksgruppen geplagt. Der anhaltende flämisch-wallonische Konflikt prägt die gegensätzlichen Interessen der Vertreter der beiden Bevölkerungsgruppen besonders auch in der belgischen Politik. Seit den 1970-er Jahren wird daher versucht, diesem Problem durch eine Dezentralisierung der Staatsorganisation zu begegnen. Dazu wurde Belgien in einen Bundesstaat bestehend aus sechs Gliedstaaten - drei Regionen und drei Gemeinschaften - umgewandelt. Die Regionen Flandern, Wallonien und Brüssel-Hauptstadt sowie die Flämische, die Französische und die Deutschsprachige Gemeinschaft bilden heute als Gliedstaaten die politische Grundlage des Landes. Dabei sind die Hoheitsgebiete der Regionen und der Gemeinschaften nicht deckungsgleich. Als nachgeordnete Verwaltungseinheiten bestehen zehn Provinzen und 45 Arrondissements. Die lokale Selbstverwaltung wird von den 589 Gemeinden ausgeübt.

Die territoriale Abgrenzung der Regionen und Gemeinschaften richtet sich nach den Sprachgebieten: Die flämische Region umfasst das niederländische Sprachgebiet, die Wallonische Region das französische und das deutsche Sprachgebiet, die Region Brüssel-Hauptstadt das zweisprachige französisch-niederländische Gebiet. Regionen und Gemeinschaften verfügen jeweils über ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung. Durch Belgiens föderale Struktur, die der Lokalebene außerordentlich viele Kompetenzen zuweist, sind sowohl die Regionen als auch die Gemeinschaften maßgeblich an der Formulierung der belgischen Europapolitik beteiligt, jedoch zugleich von der Umsetzung politischer Ziele der EU betroffen.

Belgien hat als bundesstaatlich organisierte konstitutionelle Erbmonarchie ein Zwei-Kammer-Parla-ment. Die Bundeslegislative setzt sich zusammen aus dem König sowie den beiden Parlamentskammern, der bedeutenderen Abgeordnetenkammer mit 150 und dem Senat mit 60 Mitgliedern. Der König gehört gleichzeitig auch der Exekutive an, die er zusammen mit der 15-köpfigen Föderalregie-rung bildet, der wieder der Premierminister als Erster unter Gleichen vorsteht. Sitz des belgischen Bundesparlaments ist der Palast der Nation in Brüssel.

Eine besondere Rolle spielt die Stadt Brüssel (1,2 Millionen Einwohner). Sie ist neben der Haupt- und Residenzstadt des Königreichs und des Staates Belgien auch eine selbständige Region Brüssel-Hauptstadt und eine ihrer 19 Gemeinden mit rund 180.000 Einwohnern, ferner Sitz der Institutionen der Flämischen und Französischen Gemeinschaft Belgiens sowie von Flandern und Hauptort der Region Brüssel-Hauptstadt. Zudem stellt Brüssel den Hauptsitz der Europäischen Union sowie den Sitz der NATO, ferner den des

ständigen Sekretariats der Benelux-Länder, der EUROCONTROL und der ehemaligen Westeuropäischen Union.

Wallonien und Namur

Der zweite Tag der PVN-Reise führte die niedersächsischen Parlamentarier nach Namur, in die Hauptstadt von Wallonien. Hier lernten sie das ebenso "komische" wie gewöhnungsbedürftige politische Gebilde Belgiens, das seinesgleichen in Europa sucht, im Einzelnen und in der Praxis kennen. Das Parlament der Region Wallonien ist sein legislatives Organ und hat seinen Sitz in Namur. Das Parlamentsgebäude ist, neben dem britischen Unterhaus in London, eines der seltenen, in dem sich die Abgeordneten in langen Reihen gegenüber sitzen, hier allerdings nicht auf grünen Bänken wie in Westminister, sondern auf Sesseln. Wie der Generalsekretär, der "erste Beamte der Regierung", den niedersächsischen Gästen gleich zu Beginn erklärte, ist das belgische politische System "äußerst kompliziert; für elf Millionen Belgier gibt es sieben Parlamente". Eines der drei belgischen Regional-Parlamente residiert in Namur. Das Parlament ist verantwortlich für die Gesetzgebung der Wallonischen Region, die sogenannten Dekrete, ferner die parlamentarische Kontrolle von Regierung und Verwaltung und die Festlegung des Haushalts. "Die gesetzgeberische Funktion des Parlaments besteht in der Prüfung und gegebenenfalls der Verabschiedung von Dekreten, die das öffentliche Leben in der Wallonie regeln. Die Abgeordneten können die Ansichten der wallonischen Bürgerinnen und Bürger auch über Resolutionen zum Ausdruck bringen", sagte der Generalsekretär.

Das Wallonische Parlament setzt sich aus 75 Abgeordneten zusammen, die von 3, 6 Millionen Wallonen alle fünf Jahre gleichzeitig mit den Europawahlen direkt gewählt werden. Für alle Wahlen in Belgien herrscht Wahlpflicht. Jeder Wähler verfügt über eine Stimme, die er entweder der gesamten Liste geben kann (Kopfstimme) oder die er auf die Kandidaten einer Liste verteilen kann, um die interne Reihenfolge der Kandidaten auf einer Liste zu beeinflussen (Vorzugsstimme). Die Sitze werden verhältnismäßig nach dem sogenannten D'Hondt-Verfahren getrennt nach Provinzen verteilt.

Die Abgeordneten des Wallonischen Parlaments sind gleichzeitig auch Mitglieder des Parlaments der Französischen Gemeinschaft, das auch Parlament der Föderation Wallonie-Brüssel genannt wird. Eine Ausnahme bilden die wallonischen Abgeordneten, die gleichzeitig auch Mitglieder des Parlaments der Deutschsprachigen Gemeinschaft (DG-Parlament) sind. Für sie besteht eine Unvereinbarkeit, und sie werden im Parlament der Französischen Gemeinschaft durch einen Nachrücker ersetzt. Die wallonischen Abgeordneten, die ihren Verfassungseid zuerst oder nur auf Deutsch ablegen ("Ich schwöre, die Verfassung zu befolgen"), unterliegen derselben Unvereinbarkeit. Außerdem ist das Amt des Abgeordneten unvereinbar mit gewissen anderen Funktionen. So ist es nicht möglich, Mitglied des Parlaments zu sein und gleichzeitig ein Ministeramt zu bekleiden. Im Übrigen ist Abgeordneter in Belgien kein Beruf, sondern ein Mandat, für das man entschädigt wird. Die Entschädigung beträgt rund 5.000 Euro im Monat. Dem Wallonischen Parlament sitzt der Präsident vor, der alle fünf Jahre zu Beginn der Legislaturperiode neu gewählt wird. Er stammt traditionell aus der Regierungsmehrheit, agiert allerdings in der Regel überparteilich. "Der Präsident leitet die Plenarsitzung, sorgt für Ordnung in der Versammlung und für die Einhaltung der Geschäftsordnung. Er sitzt ebenfalls dem Präsidium vor", betonte der Generalsekretär abschließend.

Mit dem Besuch in Namur war der "politische" Teil der Informationsreise der PVN-Gruppe beendet. Von nun an genossen die Besucher den "touristischen" Teil des Programms - bereits auf der Rückfahrt nach Brüssel mit der Besichtigung von Waterloo.

Waterloo - Schicksalsort der Geschichte

Praktisch im Vorbeifahren wurde eine der bekanntesten historischen Stätten der europäischen und besonders der französisch-belgischen Geschichte besucht: Das kleine Dorf Waterloo, 15 Kilometer südlich von Brüssel. Schon von weitem erkennt man den 1826 künstlich aufgeschütteten 40 Meter hohen Löwenhügel mit dem flandrischen Löwen auf der Spitze sowie Museen und historische Erinnerungsstätten am Fuße. Wer die 226 Stufen die Treppe hinauf erklommen hatte, dem bot sich ein grandioser Überblick über das gesamte damalige Schlachtfeld von Waterloo. Hier hat der französische Kaiser Napoleon am 18. Juni 1815 seine letzte Schlacht geschlagen - und vernichtend verloren. Sie ist als eine der denkwürdigsten Schlachten in die Geschichte eingegangen.

Nach seiner erzwungenen Abdankung und Verbannung auf die Insel Elba im Jahr 1814 landete Napoleon im März 1815 wieder in Frankreich, um mit ihm treu ergebenen Truppen Paris zurückzuerobern. Auf dem Weg dahin kam es bei Waterloo in Belgien zur letzten entscheidenden Schlacht seines Lebens. Seinen etwa 72.000 französischen Soldaten standen dort rund 67.000 Soldaten der Engländer, Niederländer, Hannoveraner, Braunschweiger und Nassauer gegenüber. In einem unglaublich grausamen Gemetzel mit vielen Tausend Toten und Verwundeten, in dem die alliierten Truppen der Übermacht der Franzosen lange stand hielten, sagte der britische Befehlshaber General Herzog von Wellington den weltbekannt gewordenen Ausspruch: "Ich wollte, es wäre Nacht, oder die Preußen kämen!"

Und sie kamen tatsächlich rechtzeitig mit 48.000 preußischen Soldaten, angeführt vom Feldmarschall Blücher und seinen Generälen Gneisenau und Ziethen. Napoleon und seine Armee wurden vernichtend geschlagen. Seine Herrschaft der 100 Tage war ebenso zu Ende wie das französische Kaiserreich. Napoleon wurde als Kriegsgefangener der Engländer auf die Atlantik-Insel St. Helena gebracht, wo er 1821 starb. Die Schlacht bei Waterloo hatte über 25.000 tote und verwundete und 7.000 gefangene französische Soldaten sowie über 22.000 tote und verwundete alliierte Truppen und preußische Soldaten gefordert.

Heute kann man diese berühmte Schlacht in der Gedenkstätte Waterloo in einem riesigen, lebensgroßen Panorama von 360 Grad naturgetreu nachgebildet, dreidimensional und mit Kanonendonner und erschütterndem Kriegsgeschrei besichtigen und nacherleben - eine eindrucksvolle Darstellung, die den ganzen Irrsinn eines Krieges zeigt. Übrigens, der Groll der Franzosen über diese Niederlage bei Waterloo reichte bis in die Neuzeit. Als Belgien im Jahr 2015 zum 200. Jahrestag der Schlacht eine 2-Euro-Gedenkmünze mit einem Waterloo-Motiv prägen ließ, legten die Franzosen ihr Veto ein, und 180.000 schon geprägte Münzen mussten wieder eingeschmolzen werden.

Belgien - Land und Leute

Brügge und Gent

Der dritte Tag der Reise, Mittwoch, 18. September 2019, war ein Ausflugstag nach Flandern. Um es gleich vorweg zu sagen: Es gibt sicher interessantere Städte in Belgien, in Europa und auf der Welt als ausgerechnet Brügge und Gent, die nun auf dem Programm der niedersächsischen Reisegesellschaft standen. Es würde vermutlich kaum jemandem in Deutschland einfallen, extra wegen dieser beiden Städte nach Belgien zu reisen. Aber wenn man schon mal in Brüssel ist, warum sollte man nicht Flanderns Metropole des Mittelalters mit heute 120.000 Einwohnern davon etwa 18.000 deutsch-sprachige und die touristisch mit ihr konkurrierende, 300.000 Einwohner zählende größte Stadt Belgiens mit mehr als 9.800 registrierten kulturhistorischen Gebäuden und 70.000 Studenten besuchen?

Beeindruckend, geradezu sensationell war der Besucherandrang in Brügge. Wie die Heuschrecken waren Abertausende Einheimische und Fremde an einem ganz gewöhnlichen Alltag mit Kind und Kegel in, geschätzt, an die hundert Omnibussen in die Stadt eingefallen, die die Belgier selbstbewusst auch das "Venedig des Nordens" nennen. Meistens in größeren oder kleineren Besuchergruppen bevölkerten sie die oft engen Straßen und Gassen, dass man sich teilweise geradezu durchwühlen musste, um voran zu kommen. Dieser ungeahnte Massentourismus war beängstigend.

Natürlich gab es in Brügge auch viel zu sehen, in der Stadt mit 43 Brücken und über 12 Kilometern Kanälen, die Grachten, auf denen Hunderte von Booten die Touristen für jeweils eine halbe Stunde herumfahren, und wo sie in langen Schlangen vorher oft doppelt so lange anstehen müssen. Gleiches gilt für die Fiaker, die Pferdedroschken, die man sonst vor allem aus Wien kennt. Imposant ist auf dem Burgplatz das Rathaus, auch Stadhuis genannt, aus dem Jahr 1376, das älteste erhaltene Rathaus Belgiens, in gotischem Stil mit prächtiger Fassade und innen mit dem gotischen Saal mit wunderbaren Malereien. Auch die weiteren Gebäude rings um den Marktplatz im klassizistischen Stil sind sehenswert. In der Basilika des Heiligen Blutes kann man gegen eine Spende einen Blick auf die hier aufbewahrte Reliquie des Heiligen Blutes Jesu Christi werfen. Bemerkenswert ist auch der Beginenhof aus dem 13. Jahrhundert. Hier führten einst Hunderte von unverheirateten Frauen, die "Beginen", ein eheloses, religiöses Leben, nachdem sie ein Gelübde abgelegt hatten, im Schutze einer Christengemeinschaft. Die heute noch erhaltenen eingeschossigen, langgestreckten Gebäude wurden später von Ordensschwestern übernommen. Auch ein Gang durch das ehemalige Hanseviertel mit den wunderschönen Häusern aus dem 14. und 15. Jahrhundert, wie das alte Zollhaus oder die Bürgerloge, ist empfehlenswert.

Bei dem Touristenansturm musste man mittags schon Glück haben, eine Platz in einem Restaurant oder Straßenbistro zu finden, um schnell die Nationalspeise frisch gebackene Waffeln süß oder mit Früchten belegt, für sechs Euro, serviert oder auf die Hand zu bekommen. Weil die Stadtführung an einem Punkt endete, von dem aus man sich noch kilometerweit durch das Menschengewühl in der Stadt zurück zum Bus-Parkplatz kämpfen musste, war das für ältere Teilnehmer oder Fußkranke nicht sehr erfreulich.

Nachmittags ging die Reise nach Gent weiter. Hier wurde die Reisegesellschaft insofern entschädigt, als es statt der üblichen Stadtbesichtigung eine eher bequeme Grachtenrundfahrt mit dem Boot gab. Diese führte auch an dem historischen Prinzenhof vorbei, dem Geburtsort von Karl V., einem der berühmtesten Kaiser des Mittelalters und einer der mächtigsten Herrscher der europäischen Geschichte. In ihr steht der bekannte Satz, dass im Weltreich Karls V. "die Sonne nie untergeht". Er regierte in der Tat den größten Teil Europas und Teile Amerikas. Karl V. wurde im Jahr 1500 im flandrischen Gent geboren. Schon als Kind war er Regent der Niederlande, seines Heimatlandes, als Jugendlicher wurde er ab 1516 König von Spanien, als Karl V. ab 1519 zunächst König, ab 1530 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches bis zu seiner Abdankung 1556. Dazu führte er allerdings auch viele Kriege. So entstand in seiner Regentschaft auch die "Erbfeindschaft" mit Frankreich, die über viele Jahrhunderte praktisch bis in die Neuzeit anhielt und erst nach dem 2. Weltkrieg endlich beseitigt werden konnte. Diese Gedanken konnten geschichtsbewussten Teilnehmern durch den Kopf gehen, als sie im Boot auf einer Gracht in Gent am Prinzenhof vorbeifuhren.

Die Silhouette der Stadt Gent ist seit dem Mittelalter durch drei in einer Reihe stehende Türme dreier Kirchen gekennzeichnet, darunter die Kathedrale mit ihrem 95 Meter hohen Belfried, der aus dem 14. Jahrhundert stammt und heute UNESCO-Weltkulturerbe ist. Neben vielen Sakralbauten weist Gent auch eine große Zahl historischer Profanbauten auf, davon im Zentrum den Grafenstein, eine aus dem 12. Jahrhundert stammende und einzige in Flandern erhaltene mittelalterliche Burg im romanischen Stil, als spätere gräfliche Residenz der Grafen von Flandern mit noch relativ gut erhaltenen Befestigungswerken.

Abschied von drei Tagen Brüssel

Voll gepackt mit vielen neuen Eindrücken und Erlebnissen von drei Tagen Belgien versammelte sich die PVN-Reisegesellschaft zum Abschied aus Brüssel am Mittwochabend beim gemeinsamen Abendessen in der Rue des Bouchers, besser bekannt als "Fressgasse", im Restaurant Che Léon und genoss im überfüllten Lokal noch einmal die gute belgische Küche samt vorzüglichen Weinen und sonstigen Getränken. Erfreulicherweise konnten die Teilnehmer den Hin- und Rückmarsch vom Hotel zum Lokal zu Fuß zurücklegen und dabei auch noch einmal "Brüssel bei Nacht" mit dem unvergesslichen Großen Platz genießen.

Bei den parlamentarischen Brüdern und Schwestern in Nordrhein-Westfalen

Die Rückfahrt am Donnerstag, 19.9.2019, war noch einmal mit einem vollen Programm ausgestattet,

denn es ging nach Nordrhein-Westfalen in die Landeshauptstadt Düsseldorf in das Landesparlament zu den parlamentarischen Brüdern und Schwestern. Ihnen war der letzte Tag der diesjährigen großen Reise gewidmet. Gegen elf Uhr vormittags erreichte die Reisegesellschaft den nordrhein-westfäli-schen Landtag am Rhein. Landtagspräsident André Kuper (CDU) persönlich begrüßte die Gäste im Empfangsraum für Staatsgäste und präsentierte stolz seinen Landtag als das Haus der Bürgerinnen und Bürger. Rund 70.000 von ihnen strömen jährlich in das Gebäude unmittelbar am Rheinufer. Von innen hat man durch große Glasfenster einen wunderbaren Blick auf den Rhein. "Wir wollen die Demokratie, die in vielen Teilen der Welt gerade jetzt keine Selbstverständlichkeit ist, weiterhin stärken, die Kontakte verstärken und jährlich bald 150.000 Besucher erreichen", sagte der Präsident. Das solle vor allem für die jüngere Generation gelten und durch das vorbildliche Projekt "Präsidium macht Schule" realisiert werden. Das bedeute, dass das Landtagspräsidium allen Schulen anbiete, einen Tag für zwei Unterrichtsstunden zu ihnen zu kommen, damit die Schüler mit den führenden Landespolitikern ins Gespräch kommen und ihre Fragen loswerden können.

Nordrhein Westfalen und Niedersachsen haben etwa die gleiche landespolitische Nachkriegsgeschichte, beide wurden aus mehreren Landesteilen zu neuen Ländern gebildet und wählten 1947 in erster freier Wahl ihr Landesparlament. Es tagte hier wie dort in den zerbombten Hauptstädten provisorisch in notdürftig wieder reparierten Gebäuden. Während in Hannover der Landtag schon 1962 im um- und ausgebauten ehemaligen Leineschloss ein neues, eigenes Domizil fand, konnte in Düsseldorf der Landtag erst 1988 sein eigenes neu gebautes Parlamentsgebäude beziehen, das "die notwendige Funktionalität der politischen Arbeit mit dem repräsentativen Charakter eines modernen bürgernahen Parlaments vereint", wie Präsident Kuper sagte.

Der Kern des Gebäudes ist der kreisrunde Plenarsaal. Um ihn herum sind alle Räume des parlamen-tarischen Geschehens angeordnet, wie der Bereich des Präsidiums mit den Empfangsräumen des Präsidenten und auch die Wandelhalle. Desgleichen umrunden die Fraktionszentralen und die Räume der Abgeordneten den Kern. Diese Architektur bietet kurze Wege für Abgeordnete und auch für Besucher. Diese und die Vertreter der Presse fahren im Aufzug auf die Tribünen in den oberen Rängen. Schon der große offene Vorplatz, um den sich das Gebäude wölbt, ist sehr repräsentativ und lädt dazu ein, den Landtag durch die gläsernen Türen zu betreten.

2010 wurde der Düsseldorfer Landtag mit einem Anbau vergrößert. Allerdings gibt es für das vor 30 Jahren für drei Fraktionen ausgelegte Parlamentsgebäude inzwischen bei den jetzt fünf Fraktionen und 340 Landtagsmitarbeitern räumliche Engpässe, so dass nicht mehr alle unter einem Dach arbeiten können, sondern Auslagerungen vorgenommen werden mussten, erklärte der Präsident.

Bei der letzten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai 2017 erhielt die CDU 33 % der Stimmen und 72 Sitze, alle in direkter Wahl, die SPD 31,2 % und 69 Sitze, die FDP 12,6 % und 28 Sitze, die Grünen 6,4 % und 14 Sitze, und zum ersten Mal zog die AfD in den Landtag mit 7,4 % und 16 Sitzen ein; nachdem drei Abgeordnete ausgetreten sind und jetzt als fraktionslos gelten, hat die AfD nur noch 13 Sitze. CDU und FDP bilden eine Koalition mit einer Stimme Mehrheit unter dem CDU-Ministerpräsidenten Armin Laschet.

Nach einer Diskussion, in der die niedersächsischen Abgeordneten ihre Fragen an den Landtags-präsidenten stellten, dankte ihm der Vorsitzende der Parlamentarischen Vereinigung Niedersachsen, Ulrich Biehl, dafür, dass er sich trotz der gerade laufenden Plenarsitzung die Zeit genommen habe, die niedersächsischen Kollegen ausführlich zu informieren und mit ihnen zu diskutieren. Er überreichte dem Gastgeber als Gastgeschenk einen original hannoverschen Pelikan-Füllfederhalter zum Vollziehen notwendiger Unterschriften. Diese leisteten dann auch alle niedersächsischen Reiseteilnehmer, als sie sich in das Goldene Buch des nordrhein-westfälischen Landtags eintrugen. Präsident Kuper revanchierte sich mit der Überreichung einer eigens geprägten Münze seines Landtags und bat seine Gäste zum Mittagessen in seine Repräsentationsräume, wo die Gespräche in lockerer Atmosphäre fortgesetzt werden konnten.

40 Jahre Parlamentarischen Vereinigung NRW

Am Mittagessen nahm auch der stellvertretende Vorsitzende der Parlamentarischen Vereinigung von Nordrhein-Westfalen, Heinz Sahnen, ehemaliger Landtagsabgeordneter und Stadtverordneter von Erfttal, teil. Er gab den Niedersachsen einen Einblick in die Tätigkeit seiner Institution, die keine aktiven, sondern nur ehemalige Landtagsabgeordnete aufnimmt, dazu den Ministerpräsidenten und den Landtagspräsidenten. Das gute Verhältnis zur Landtagsverwaltung dokumentiert sich auch darin, dass es einen jährlich Zuschuss von 10.000 Euro für die Vereinigung gibt, die etwa 350 Mitglieder zählt. Sie kann im nächsten Jahr bereits ihr 40-jähriges Bestehen feiern. Die Grünen seien nur schwach, die Linken und die AfD überhaupt nicht vertreten, sagte Heinz Sahnen. Zu den Aktivitäten zählen drei bis vier Veranstaltungen jährlich, darunter die Mitgliederversammlung und die traditionelle Adventsfeier. In dem großem Flächenland Nordrhein-Westfalen sei es sehr schwierig, die pensionierten Abge-ordneten immer wieder zusammen zu holen. Allerdings finden auch Reisen ins Land statt, "um zu sehen, was wir in unserer aktiven Zeit auf den Weg gebracht haben". Und auch Studienreisen in andere Bundesländer oder ins benachbarte Ausland stehen gelegentlich auf dem Programm. In der anschließenden Diskussion, in der die niedersächsischen Parlamentarier auch über ihre Aktivitäten in der PVN berichteten, konnten Anregungen verteilt und aufgegriffen werden.

Nach einem ausgiebigen Sonnenbad nach dem Mittagessen auf dem einladenden Parlaments-Vor-platz - die Sonne schien zum Abschied vom blauen Himmel, wie überhaupt das Wetter während der gesamten Reise nichts zu wünschen übrig ließ - bis der Bus pünktlich kam, trat die niedersächsische Reisegesellschaft vollgepackt mit Informationen und sehr vielen neuen Eindrücken und offensichtlich auch sehr zufrieden die Heimreise an. Ohne Stau auf der Autobahn trafen die Teilnehmer pünktlich wie geplant gegen 18 Uhr in Hannover ein. Sie dankten noch einmal mit großem Beifall dem PVN-Vorstand und besonders dem Reise-Komitee Mientus/Sonntag für die wiederum großartig gelungene Reise und waren sich durchweg einig, nach so vielen schönen, wenn auch manchmal strapaziösen Stunden in dieser Reisegemeinschaft von Teilnehmern, die sich mögen und schätzen, die großen Reisen auch in den nächsten Jahren fortsetzen und wieder mit gleicher Freude daran teilnehmen zu wollen. Rolf Zick